Acht Besucherinnen sind zur Führung durch eine Sonderausstellung ins Gerhard-Marcks-Haus in Bremen gekommen. Gleich am Eingang des Skulpturenmuseums fällt ihr Blick auf einen überlebensgroßen Mann mit Stahlhelm, düsterem Gesichtsausdruck, nackten Zehen und einer Fackel in der Hand. Daneben steht eine Metallplastik, die wie ein geöffneter hohler Brustkorb wirkt. Wer nach näheren Informationen zu den beiden Kunstwerken sucht, wird enttäuscht – in der Sonderausstellung „Blind Date“ werden alle Objekte ohne Beschriftung präsentiert.
Man erfährt nichts über den Urheber, nichts über den Titel, nichts über das Jahr und die Hintergründe der Entstehung. „Der erste Blick vieler Besucher gilt oft nicht dem Kunstwerk, sondern dem Schild daran. Das beeinflusst, wie sie schauen“, sagt Arie Hartog, Direktor des dem Bildhauer Gerhard Marcks (1889-1981) gewidmeten Museums. Er fügt hinzu: „Wir müssen den Besuchern wieder beibringen, dass es ums Gucken und nicht ums Lesen geht.“
Vor den Kunstwerken ins Gespräch kommen
Ums Gucken – und auch um den Austausch. Bei der Führung mit dem Galeristen Radek Krolczyk sind seine Fragen wie „Was ist der inhaltliche Zusammenhang zwischen den beiden Figuren?“ Anlass, um miteinander ins Gespräch zu kommen und weitere Einzelheiten an den Kunstwerken zu entdecken. Augenscheinlich geht es bei den beiden Skulpturen im Eingangsbereich um das Thema Krieg. Auch in den weiteren Ausstellungsräumen werden die Arbeiten von 65 Künstlerinnen und Künstlern unter Oberthemen präsentiert, die aber nirgendwo zu lesen sind und selber herausgefunden werden müssen. An einer Stelle stehen mehrere nackte männliche Skulpturen nebeneinander, ein paar Räume weiter findet man Paardarstellungen, um die Ecke werden Personen gezeigt, die Bewegungen andeuten.
Diese Art der Präsentation ist Anlass, um die Werke miteinander zu vergleichen – wo sind die Gemeinsamkeiten und wo die Reibungspunkte? Einige der Aktfiguren blicken selbstbewusst, andere haben den Kopf abgewandt. Es gibt schlaff wirkende Körper, die ihren Bauch nicht verbergen wie auch Akte, die Idealvorstellungen entsprechen. Bei anderen scheinen die Körperproportionen nicht zueinander zu passen. Nicht alles ist eindeutig und bietet Anlass zu unterschiedlichen Deutungen.
Besucher notieren “Aha”-Momente
„Museen wandeln sich von Lehranstalten zu Orten des Gedankenaustausches“, betont Hartog, nach dessen Erfahrung leichter und unbefangener miteinander diskutiert werde, wenn man sich nur auf seine Beobachtung und nicht auf sein Hintergrundwissen stützen könne.
Auf Zetteln können Besucherinnen und Besucher ihre „Aha-Momente“ zu den großen und kleinen Werken aus Bronze, Terrakotta oder Papier notieren und sie auf Tafeln kleben. Davon wird rege Gebrauch gemacht – wobei auffällt, dass manche Skulpturen, Holzschnitte, Gemälde und Grafiken deutlich mehr und zum Teil sehr unterschiedliche Assoziationen auslösen als andere. Mit der Ausstellung scheint das Museum noch zwei andere Ziele zu verfolgen: Sie setzt auf die Neugier ihrer „Datepartner“, denen angeboten wird, über die Herkunft der Exponate eigene Recherchen in der Online-Sammlung des Marcks-Hauses anzustellen. Und sie hofft, dass ab dem 9. Februar Gäste zum zweiten Mal in die Sonderausstellung gehen – ab dann liegen nämlich Textblätter mit den Künstlernamen aus.