Die elfjährige Emilia sah ihrem Zeugnis mit einigem Unbehagen entgegen. „Ich bin eigentlich überall ganz gut, aber meine letzte Mathearbeit war voll daneben“, sagt die Schülerin, die die 6. Klasse eines Kölner Gymnasiums besuchte. Sie hatte Bammel davor, was das für eine Endnote gibt. In Nordrhein-Westfalen stehen die Zeugnisse bereits Ende Juni an. „Aber immerhin wussten meine Eltern schon Bescheid, dass das dieses Mal nicht so doll wird“, sagt sie. So wie Emilia sehen Millionen Kinder und Jugendliche Jahr für Jahr der Zeugnisausgabe am letzten Schultag vor den Sommerferien mit Bauchgrimmen entgegen.
Schulangst ist ein Dauerbrenner
„Schulangst ist das ganze Jahr über ein Dauerbrenner an Schulen“, sagt Johannes Bendszus, Leiter der Schulpsychologie Bonn. „Es geht um Angst vor Noten, vor dem Sitzenbleiben, vor der Reaktion der Eltern. Das Thema spitzt sich vor dem Zeugnis noch einmal zu.“ Zwar würden die meisten Eltern von der Schule vorher darüber informiert, wenn die Versetzung gefährdet sei. „Viele Eltern haben jedoch die Hoffnung, dass es doch wieder irgendwie klappt. Mit den Zeugnissen wird diese Hoffnung dann enttäuscht“, sagt Bendszus.
Dass die Angst vor schlechten Noten Kinder sehr belastet, kann auch Beate Friese von der „Nummer gegen Kummer“ bestätigen, der größten bundesweiten Telefonberatungsstelle für Kinder und Jugendliche. Etwa 150 000 Kinder und Jugendliche nutzen den kostenlosen und anonymen Dienst jedes Jahr. In etwa 2800 Gesprächen geht es dabei um Sorgen rund um das Thema Noten.
„Viele Kinder wollen sich einmal aussprechen“, sagt Friese. „Dabei hören wir ganz oft: ‚Eigentlich finde ich meine Eltern toll, aber bei dem Thema hakt es‘.“ Die Mitarbeiter des Beratungsdienstes hören zu, trösten und versuchen, gemeinsam mit dem Kind eine Lösung zu finden.
„Wenn sich Kinder etwa mit schlechten Noten nicht nach Hause trauen, dann fragen wir: ‚Wen könntest du ansprechen, damit er mit dir zu deinen Eltern geht und vermittelt? Vielleicht eine Tante, die Oma oder eine Freundin deiner Mutter? Wem vertraust du?‘“, rät Beate Friese: „Oft kommen Kinder allein nicht auf so etwas.“
Sind die Anrufer schon etwas älter, dann kommen sie eher ohne die Hilfe eines weiteren Erwachsenen aus. „Dann fragen wir: ‚Wie kannst du dich auf das Gespräch mit deinen Eltern vorbereiten? Wie kannst du das Gespräch einleiten?‘“ Wichtig dabei sei, dass die Kinder und Jugendlichen das Problem offen ansprächen und den Eltern Vorschläge unterbreiteten, wie es im nächsten Jahr besser laufen könnte. „Das kommt in der Regel bei den Eltern gut an“, weiß Friese.
Und auch Eltern sollten sich bemühen, am Tag der Zeugnisausgabe locker zu bleiben, findet Annette Greiner, die Vorsitzende des Landesverbands Schulpsychologie Nordrhein-Westfalen. „Wenn die Kinder mit einem nicht so dollen Zeugnis nach Hause kommen, sollten die Eltern erst einmal tief durchatmen“, empfiehlt sie.
Am besten sei, alles erst einmal ein bis zwei Tage sacken zu lassen und sich dann in aller Ruhe mit dem Kind hinzusetzen und darüber zu reden. Dabei könne es um Fragen gehen wie: „Wie erklärst du dir das Notenbild? Wie kann es im nächsten Halbjahr besser laufen? Wie kriegen wir das gemeinsam schrittweise hin?“ Es sei wichtig, die Perspektive nach vorn zu richten, rät die Expertin.
Gute Noten nicht mit Geld belohnen
Schulpsychologe Johannes Bendszus findet es wichtig, das Kind zu fragen, in welcher Form es Unterstützung von den Eltern möchte: etwa bei den Hausaufgaben, bei den Vokabeln oder beim Üben vor Klassenarbeiten. „Wichtig ist es, das Kind mit in die Verantwortung zu nehmen, damit es sich auch selbst zuständig fühlt.“
Unaufgeregtheit ist auch im umgekehrten Fall gefragt: Gute Noten sollten lieber nicht mit Geld belohnt werden, empfehlen die Experten. „Was ist etwa, wenn unter Geschwistern einer gute Noten hat, der andere aber nicht?“, fragt Annette Greiner. Zudem hält sie es für sinnvoller, die Anstrengung zu belohnen und nicht das Ergebnis.
„Denn manchmal bemüht sich das Kind sehr um bessere Noten, aber dann klappt es trotzdem nicht, weil ihm das Thema nicht liegt oder die Klassenarbeit besonders schwer war.“
☐ Nummer gegen Kummer: 116111 oder (08 00) 1 11 03 33 (anonym und kostenlos, Mo bis Sa, 14 bis 20 Uhr); Internet: www.nummergegenkummer.de, www.schulpsychologie-nrw.de.