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Kaputt? Das bekommt der “Doktor der Schirme” wieder hin

Regenschirme lassen sich fast immer reparieren. Die Frage ist nur, wie teuer das wird. Erich Baumann beantwortet sie. Werkstattbesuch beim einzigen Schirmflicker der Schweiz.

Kaputte Schirme sind kein Problem für Erich Baumann, den einzigen Schirmflicker der Schweiz
Kaputte Schirme sind kein Problem für Erich Baumann, den einzigen Schirmflicker der SchweizImago / Action Pictures

In vielen Ländern Südamerikas wird, solange es geht, alles geflickt. Oder: fast alles. Das Motto “Reparieren statt wegschmeißen, behalten statt ersetzen” ist beispielsweise in Argentinien oder in Bolivien gelebte Realität. Möbel, Taschen, Instrumente, Messer, Handys, Computer – alles kann man zu irgendjemandem in die Reparatur bringen, auch Regenschirme.

Das bringt viele Vorteile: Menschen können Gegenstände, die sie mögen, lange gebrauchen. Sie sparen Geld, weil sie weniger neu kaufen müssen. Und ganz nebenbei entsteht weniger Müll, bei einem zu Hause und auf der Welt.

Regenschirme kommen auch aus dem Ausland

In der Schweiz und anderen europäischen Ländern sieht das anders aus: Reparaturgeschäfte und Nähstuben gibt es nicht mehr an jeder Ecke. Und wenn man ein Geschäft findet, ist der Kostenvoranschlag mitunter so hoch, dass ein neues Produkt sinnvoller erscheint. In den südlichen Ländern Europas wie Spanien und Portugal reparieren die Menschen derweil nach wie vor oft selbst.

Das Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Bevölkerung wächst jedoch. Und so sind auch in der Schweiz und in Deutschland in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte ins Leben gerufen worden, etwa die Repair-Cafes. In der Schweiz gibt es einen ganz besonderen Reparateur: den Regenschirmdoktor Erich Baumann. “Mehr als 1.000 Regenschirme haben wir 2023 repariert”, sagt der 56-Jährige – er ist der einzige Schirmflicker in der Schweiz. Es wundert nicht, dass ihm Regenschirme von überall her zugesandt oder gebracht werden, sogar aus dem Ausland.

Wie wird man Schirmflicker? Diese Berufung sei ihm zugefallen, sagt Baumann. Er habe über 20 Jahre in einer Schweizer Stiftung gearbeitet, wo er im Bereich Handwerk Menschen mit einer Beeinträchtigung begleitete. In der Werkstatt wurden Schirme geflickt. Baumann: “1999 zog es mir selbst den Ärmel rein.” Eine Schweizer Redensart, die meint, dass er nun selbst von der Leidenschaft fürs Reparieren von Schirmen ergriffen worden war. Baumann übernahm schließlich das Repair-Projekt und zog 2008 in ein altes Schulhaus in Münchringen um, ein Dorf nahe der Schweizer Hauptstadt Bern.

Das ehemalige Klassenzimmer ist vollgestopft mit Schirmen in allen Farben. “Ich brauche Ersatzteil-Spender”, erklärt der stattliche Mann. Viele der kaputten Schirme in den Regalen bekommt er vom Fundbüro in Bern oder von sogenannten Brockenhäusern gespendet – also Gebrauchtwarenläden -, weil sie die verbogenen oder zerfetzten Regenschirme nicht mehr verkaufen können. In Schachteln, Kisten und in Regalen mit rohrförmigen Abteilen finden sich etwa dünne Metallstangen, Schieber oder Griffe in allen Varianten. “Ich habe mehrere 100.000 Teile in dieser Werkstatt”, sagt Baumann.

Der Regenschirmdoktor fährt auch Bus

Der “Doktor” sagt von sich, er sei Perfektionist. Ein Glück, für alle, die ihren Regenschirm bei ihm flicken lassen wollen. Denn der geduldige Tüftler, der – wenn er nicht flickt– zudem als Busfahrer für die städtischen Verkehrsbetriebe arbeitet, hat immer ein Ziel vor Augen: seinen “Patienten”, den Schirm, zu reparieren. Und er sucht so lange nach den richtigen Teilen dafür, bis es geschafft ist. Wenn nötig, schraubt, biegt und schneidet er die Ersatzteile selbst. “Nur etwa fünf bis zehn Regenschirme im Jahr kann ich am Ende nicht reparieren, weil ich die Teile nicht finden oder adaptieren kann.”

Es erfüllt ihn, Kunden glücklich zu machen, weil er Regenschirme flickt, die sonst niemand mehr reparieren würde. Aber auch der Aspekt des Recyclings und des Ressourcensparens ist für Baumann sehr wichtig. “Ich konnte letztes Jahr mit über 1.000 reparierten Schirmen doch so einiges an Material retten.” Er mache also etwas Sinnvolles. Und wenn man es auf all die Jahre hochrechnet, dann “sind das über 21.000 Regenschirme”.