Das Stabi Kulturwerk in Berlin zeigt “Droste Digital. Handschriften – Räume – Installationen”. Die Ausstellung ist eine interessante Mischung aus Romantik und Digitalität.
Klein ist die Schrift, die Buchstaben kaum lesbar. Dazu drängen sich die Wörter dicht an dicht auf den Seiten, als würde die Autorin mit dem Papier geizen wollen. Doch die Schriftstellerin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) litt eben unter Kurzsichtigkeit, und so entstanden ihre Werke, wie etwa “Die Judenbuche”, mit dieser “charmanten Manie” des Schreibens. Schön zu besichtigen in der Sonderausstellung “Droste Digital. Handschriften – Räume – Installationen”, die ab Freitag im Berliner Stabi Kulturwerk zu erleben ist. Im wahrsten Sinne des Wortes.
In der Ausstellung kann man sich nämlich nicht nur mit den Originalmanuskripten aus dem Nachlass der Grande Dame der deutschen Romantik beschäftigen, die von 2019 bis 2021 aufwendig digitalisiert wurden. “Droste Digital” deckt mithilfe digitaler Technologien auch die Schreib- und Entstehungsprozesse auf, die sich vor 200 Jahren auf der Burg Hülshoff im Münsterland und an anderen Stätten des Schreibens der Droste abspielten.
Welches Wort wurde wann wieso an welcher Stelle gestrichen, ergänzt oder überarbeitet? Vermutlich hätte die adelige Autorin, der man die Gabe des zweiten Gesichts nachsagte, an dieser technologischen Geisterei ihre Freude gehabt. Zumal das kreative Geheimnis dieser für ihre Zeit durchaus modernen Frau bis zum letzten Punkt dann doch nicht entschlüsselt werden kann.
Dafür werden die Gedankenwelten von Droste-Hülshoff bei der Ausstellung, die bis zum 20. Dezember zu sehen ist, in die Gegenwart übertragen: Die Autorinnen Dorothee Elmiger und Nora Gomringer, die Kollektive Hyphen-Labs und Anna Kpok sowie der Videokünstler Roman Hagenbrock interpretieren und inszenieren die Handschriften und fünf Texte neu.
Durch den weniger bekannten Gedichtzyklus “Klänge aus dem Orient” etwa kann man dank Anna Kpok quasi hindurchgehen. Berauschende Klänge und Girlanden mit Buchstaben vermitteln das Raumgefühl eines “Orient-Kosmos”. Dazu kann man – ob kurzsichtig oder nicht – auf einem Manuskript-Teppich wandeln. Die ernste Botschaft findet man auf einer herkömmlichen Info-Tafel: Nur zwei der insgesamt 21 Gedichte des Orient-Zyklus wurden zu Lebzeiten der Dichterin veröffentlicht. Der männerdominierte Literaturbetrieb fand damals, dass sich ein derartig exotischer Stoff für ein “adeliges Fräulein” nicht zieme. Goethe, der Dichter des “West-östlichen Divan”, hatte das Problem nicht.
Der Alte aus Weimar taucht in der Ausstellung auch auf – als Michael Jackson-Verschnitt in einem Teenager-Zimmer, gestaltet von Nora Gomringer. Die Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin von 2015 hat entlang des frühen Trauerspiel-Fragments “Bertha oder die Alpen” der Droste ein Zimmer entworfen, das Elemente des frühen 19. Jahrhunderts wie eine Chaiselongue und einen Sekretär mit Elementen der 1980er Jahre mixt. Viel Pink, viel Camp.
Dezent dialektisch ist der von Hyphen-Labs (Ece Tankal und Carmen Aguilar y Wedge) ausgehend vom Gedichtzyklus “Die Elemente” gestaltete Ausstellungsraum. Hier erwartet den Betrachter ein futuristisches Spiegelkabinett, in dem natürliche Elemente gänzlich fehlen. Dabei erfährt man, dass Droste-Hülshoff lyrisch auf das Eins-Werden mit den Elementen setzte. Die Nutzbarmachung der Natur taucht in ihrem Zyklus nicht auf – nur der Einklang zwischen Mensch, Luft, Wasser, Erde und Feuer.
In Drostes Elternhaus, Burg Hülshoff, und im Literaturmuseum der Moderne in Marbach war “Droste Digital” bereits zu sehen – allerdings ohne die Originalmanuskripte. Auf deren Präsenz ist man in Berlin denn auch sehr stolz. Zurecht. Die ausgezeichneten konservatorischen Rahmenbedingen des Stabi Kulturwerks machen ihre Präsenz möglich.