„Meine Herren, meine lieben Beobachter“. Mit dieser distanzierten Anrede eröffnete Papst Paul VI. wenige Tage vor Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils seine Ansprache in dem für die Ökumene historischen Gottesdienst. Gemeint waren damit Protestanten, Orthodoxe, Anglikaner und weitere Vertreter anderer christlicher Konfessionen, die als sogenannte Beobachter am Konzil teilgenommen hatten.
Großes Anliegen: Ökumenischer Dialog
Doch dann passierte in der römischen Kirche Sankt Paul vor den Mauern etwas Unerhörtes: Der Papst korrigierte sich selbst und fuhr fort „lasst mich besser jenen Namen sagen, der in diesen vier Jahren des Ökumenischen Konzils wieder lebendig geworden ist: Brüder, Brüder und Freunde in Christus“. Neu war nicht nur diese Anrede für Angehörige nichtkatholischer christlicher Konfessionen, sondern auch das Ereignis selbst: Vor 50 Jahren, am 4. Dezember 1965, feierte ein Papst erstmals einen ökumenischen Gottesdienst.
Damit verwirklichte Paul VI. ein großes Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils: den ökumenischen Dialog. Das Konzil hatte in seinem Ökumene-Dokument ausdrücklich dazu ermuntert, mit Vertretern anderer christlicher Konfessionen Gottes-dienste zu feiern. Die Wiederherstellung der Einheit der Christen erklärte es zur zentralen Aufgabe der katholischen Kirche. Zugleich gestand es auch nichtkatholischen Konfessionen erstmals zu, „Kirche“ oder zumindest „kirchliche Gemeinschaft“ zu sein.
Nach dem damals geltenden, wenn auch wohl kaum mehr angewendeten, katholischen Kirchenrecht von 1917, hätte es den ökumenischen Gottesdienst in Sankt Paul vor den Mauern gar nicht geben dürfen. Es untersagte eine aktive Teilnahme an nichtkatholischen Gottesdiensten und Gebeten. Bereits wer ein Vaterunser in einem evangelischen Gottesdienst mitbetete, stand demnach unter Häresieverdacht. „Dem Katholiken ist jede aktive Teilnahme am Gottesdienst der Akatholiken durchaus verboten“, heißt es darin. Die passive Teilnahme – also die bloße Anwesenheit – war in bestimmten Fällen erlaubt, etwa bei Hochzeiten und Beerdigungen. Aber nur, wenn nicht die Gefahr eines Abfalls vom Katholizismus oder eines Ärgernisses besteht und gesellschaftliche, amtliche oder „Höflichkeitsgründe“ dafür sprechen.
Am ökumenischen Gottesdienst in Sankt Paul nahmen alle aktiv teil: Paul VI. sprach ein Gebet, der US-amerikanische Methodistenpfarrer Albert Butler, der katholische Ordensmann Pierre Michelon und der griechisch-orthodoxe Archimandrit verlasen Stellen aus der Bibel. Zum Abschluss rief Paul VI. alle 103 Beobachter auf, das Vaterunser in ihrer Sprache zu beten. Ein „Magnificat“ aus dem Gregorianischen Choral beendete den Gottesdienst. Anschließend empfing der Papst die Vertreter der christlichen Konfessionen im angrenzenden Benediktiner-Kloster. Er schenkte jedem von ihnen eine Glocke.