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Beim Neujahrskonzert wird zum ersten Mal eine Komponistin gespielt

Am Silvesterabend “Dinner for one” gucken, am nächsten Tag dann das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Das ist für viele Tradition. In diesem Jahr werden sie eine Überraschung erleben.

Sind die Wiener Philharmoniker die “katholische Kirche” unter den Orchestern, was Frauenthemen angeht? Diese Frage stellte die österreichische Tageszeitung “Der Standard” im Hinblick auf das beliebte Neujahrskonzert der Philharmoniker. Denn es sind zwei Fragen, die immer wieder an das österreichische Spitzenorchester herangetragen werden: “Wann wird endlich eine Frau am Dirigentenpult des Neujahrskonzerts stehen?” und “Wann werden sie bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal das Werk einer Komponistin aufführen?”

In diesem Jahr ist es soweit: Die Wiener Philharmoniker werden den “Ferdinandus-Walzer” der Komponistin Constanze Geiger (1836-1890) aufführen, der an neunter Stelle in ihrem bereits veröffentlichen Programm steht. Dass es Komponistinnen gibt, die Walzer in entsprechender Qualität verfasst haben, wurde bereits im vergangenen Jahr deutlich, als die österreichische Musikwissenschaftlerin Irene Suchy ein alternatives Neujahrskonzert in Wien organisierte. Bei dem Konzert wurde auch schon ein Werk von Geiger gespielt.

In diesem Jahr steht das Neujahrskonzert im Zeichen des Walzerkönigs Johann Strauss, dessen Geburtstag sich im Oktober zum 200. Mal jährt. Das Neujahrskonzert, das im Wiener Musikvereinssaal stattfindet, wird nach Angaben der Philharmoniker in über 90 Länder im Fernsehen übertragen. Geleitet wird es zum siebten Mal von dem Italiener Riccardo Muti, mittlerweile 83 Jahre alt und Ehrenmitglied der Wiener Philharmoniker. Er ist ein klarer Favorit des Orchesters.

Als die Wiener Philharmoniker Anfang des Jahres verkündeten, wer das Neujahrskonzert 2025 leiten würde, kam die Frage auf, warum das Orchester nicht einmal eine Frau wählen würden statt schon wieder Riccardo Muti. Haben sie ein Problem mit Musikerinnen und Dirigentinnen?

Auf der Social-Media-Plattform X war das Neujahrskonzert gerne ein Thema. “Wie viele Frauen zählt ihr im Orchester?”, wurde dann gefragt – oder: “Was kommt früher, der Frieden in der Welt oder eine Frau als Leiterin des Neujahrskonzerts?”

Die Wiener Philharmoniker beschreiben sich auf ihrer Webseite als “Botschafter des mit Musik untrennbar verbundenen Gedankens von Frieden, Humanität und Versöhnung”. Von Geschlechtergerechtigkeit oder Diversität ist dabei nicht die Rede. Tatsächlich war massiver öffentlicher Druck nötig, bis sich die Wiener Philharmoniker Ende der 1990er Jahre überhaupt für Musikerinnen öffneten.

Der damalige Bundeskanzler Viktor Klima (SPÖ) appellierte an das Orchester, einzusehen, “dass es ein kreatives Potenzial auch in der anderen Hälfte der Menschheit gibt”. Die New Yorker Carnegie Hall hatte den Philharmonikern ab 1998 mit Hausverbot gedroht, sollte das Orchester weiter rein männlich bleiben.

1997 wurde die Harfenistin Anna Lelkes in das Orchester aufgenommen und blieb bis 2006 die einzige Wiener Philharmonikerin. Zum Vergleich: Die Berliner Philharmoniker öffneten sich bereits 1982 für eine erste Frau in ihre Reihen, nämlich die Violinistin Madeleine Carruzzo. Allerdings ist der Anteil von Frauen in europäischen Spitzenorchestern immer noch niedrig.

Im Januar 2005 stand dann erstmals eine Frau am Dirigentenpult, nämlich die Australierin Simone Young. Der wohl prestigeträchtigste Posten, nämlich die Leitung des Neujahrskonzerts, ging bekanntlich bisher noch nie an eine Frau. Zum Vergleich: Bei den alljährlichen Wagner-Festspielen in Bayreuth waren in diesem Jahr von den fünf Dirigenten drei weiblich – eine von ihnen war Simone Young.

Immerhin: Seit 2011 haben die Wiener Philharmoniker eine Konzertmeisterin, nämlich Albena Danailova. Und im Mai 2025 wird mit der Litauerin Mirga Grazinyte-Tyla erstmals eine Frau ein Abonnementkonzert des Orchesters leiten.

Zum Jahresende geben die Philharmoniker auch bekannt, wer das Neujahrskonzert 2026 leiten wird. Ob sie wohl eine Überraschung parat haben?