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Inklusion: Bei Eintracht Hattersheim dürfen alle mitkicken

Sie lieben Fußball, doch Tore und Leistung stehen an zweiter Stelle. Bei der integrativen Fußballmannschaft von Eintracht Hattersheim ist es auch wichtig, dem Mitspieler beim Schuhebinden zu helfen.

Sie lieben Fußball: Die inklusive Mannschaft des Vereins Eintracht Hattersheim beim Training
Sie lieben Fußball: Die inklusive Mannschaft des Vereins Eintracht Hattersheim beim Trainingepd-bild / Tim Wegner

Die Ansage von Lars Kloss ist klar: „Drei halbe Runden und ihr lauft so lange, bis jeder das geschafft hat.“ Der Trainer vom integrativen Verein Eintracht Hattersheim hat den Satz kaum zu Ende gesprochen, als einige Teammitglieder schon lossprinten. Andere murren ein wenig, denn nur weil jemand gerne Fußball spielt, muss er oder sie noch lange nicht Fan vom Rundenlaufen sein. Und wieder andere können sich nur langsam in Bewegung setzen.

Im Team von Eintracht Hattersheim spielen Menschen mit Beeinträchtigung; das kann eine Lernschwäche sein, eine autistische Störung oder auch das Downsyndrom. „Wir sind ein bunter Blumenstrauß an Menschen“, sagt die Vorsitzende Tanja Klemm. Sie hat den Verein vor einem Jahr gegründet, um allen die Möglichkeit zu geben, Gemeinschaft im Verein zu erleben und Teil der Gesellschaft zu sein. Auf Fußball sei die Wahl gefallen, weil der Sport so viele Menschen begeistert.

Lukas liebt Fußball, und er ist eher einer der Sprinter, dennoch bremst er sich beim Rundenlaufen. Lukas bleibt an der Seite von Joelina. „Komm, du schaffst das“, „weiter, Joelina, immer weiter“, feuert er seine Mitspielerin ununterbrochen an. Joelina hat das Downsyndrom, ihr fällt das Rennen schwer. Aber mit der Unterstützung von Lukas erreicht sie schließlich das Ziel.

Besondere Herausforderungen bei Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen

Dass Menschen mit ganz unterschiedlichen Behinderungen in einer Mannschaft spielen, bringt besondere Herausforderungen mit sich, erklärt Tanja Klemm. Wer eine psychische Beeinträchtigung hat, kann körperlich total fit sein und versteht mitunter nicht, warum andere sich langsam oder unkoordiniert bewegen. Die Leute „auf das jeweils andere Krankheitsbild zu sensibilisieren, war anfangs eine ganz schöne Arbeit“, gesteht die Vereinsvorsitzende. Allerdings habe die Mühe sich gelohnt: „Wir sind echt ein super Team geworden“, sagt sie stolz.

Möglich war das, weil es bei Eintracht Hattersheim nicht um Punkte und das Torverhältnis geht, sondern um Begegnung, und zwar zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Deshalb spielt das Team bei Freundschaftsspielen vor allem gegen Mannschaften ohne Beeinträchtigung. Inzwischen sei der Verein in der Stadt recht bekannt. „Wenn unsere Spieler jetzt mit ihren Trikots unterwegs sind, werden sie gegrüßt“, sagt Klemm.

Tanja Klemm, Vorstandsvorsitzende des Vereins Eintracht Hattersheim, waehrend des Fussballtrainings der inklusiven Mannschaft auf dem Sportplatz in Hattersheim
Tanja Klemm, Vorstandsvorsitzende des Vereins Eintracht Hattersheim, waehrend des Fussballtrainings der inklusiven Mannschaft auf dem Sportplatz in Hattersheimepd-bild / Tim Wegner

Der Verein hatte sich sogar um ein Spiel gegen die Traditionsmannschaft von Eintracht Frankfurt beworben. „Wir haben schon vermutet, dass das nichts wird“, erzählt die Vereinsvorsitzende lachend. Um so glücklicher seien die Vereinsmitglieder gewesen, als sie ein Spiel der Frankfurter Traditionsmannschaft als Veranstalter in Hattersheim austragen konnten.

Tanja Klemm arbeitet in der beruflichen Eingliederung von Menschen mit Beeinträchtigung im „Schlockerhof“ des Evangelischen Vereins für Innere Mission in Hattersheim. Dort arbeiten einige der Fußballspieler und -spielerinnen in der Werkstatt. Unter der Woche haben sie durch ihre Arbeit eine Tagesstruktur, am Wochenende jedoch „gab es für sie nichts“, hatte Klemm beobachtet. Als Mutter einer 25-jährigen Tochter mit Beeinträchtigung war ihr schon vor Jahren deutlich geworden, dass es für Kinder Beschäftigungs- und Freizeitangebote gibt, für Erwachsene hingegen kaum.

Spieler werden „nicht angemacht, sondern motiviert“

Lukas, er hat eine Lernschwäche, hat vor der Gründung von Eintracht Hattersheim in einem anderen Verein Fußball gespielt. „Dort war viel mehr Leistungsdruck“, sagt er. Bei Eintracht Hattersheim werde er „nicht angemacht, sondern motiviert“, lobt er seinen Trainer.

Lars Kloss war 13 Jahre Jugendtrainer bei zwei Vereinen, dann reichte es. „Ich bin inzwischen Vater und wollte einfach nur noch Spielerpapa sein.“ Aber dann lief er Tanja Klemm über den Weg. Sie war Kundin in der Werkstatt, in der Lars Kloss arbeitet. Die beiden kamen ins Gespräch und Kloss war sich plötzlich nicht mehr so sicher, dass er nicht mehr Trainer sein wollte. „Ich habe mir das hier angeschaut, und war verzaubert“, sagt er noch immer ein wenig gerührt.

45 Spielerinnen im Alter zwischen 10 und 46 Jahren

Auf dem Platz lässt er die Spieler jetzt in zwei Gruppen trainieren. Sie stehen jeweils in einer Schlange hintereinander aufgereiht. Wer dran ist, läuft zu einem Markierungskegel und zurück. Bei den Flinkeren klebt dabei der Ball am Fuß. In der zweiten Gruppe geht einer der Spieler langsam zum Ball, klatscht ihn ab und stellt sich wieder hinten an. Niemand murrt.

Der Trainer versucht, den etwa 45 Spielerinnen im Alter zwischen 10 und 46 Jahren den Raum und die Zeit zu geben, die sie brauchen. Der größte Erfolg für die Verantwortlichen liege aber nicht auf dem Platz, sagt Vereinsvorsitzende Klemm. Wenn die Spielerinnen und Spieler einander helfen und die Schuhe binden, „kriege ich einen Kloß im Hals“, sagt sie.