Ein türkischer Fußballer zeigt beim Jubel eine extremistische Geste. Sein albanischer Kollege macht mit nationalistischen Gesängen von sich reden. Nicht zum ersten Mal wird ein Sportevent zur Bühne für freie Radikale.
Es gab Tage, da sorgten T-Shirts mit religiösen Botschaften a la “Jesus loves you” für Debatten in den Fußballtempeln dieser Welt. Inzwischen ist der Ton rauer geworden und es geht gerne mal um Politisches am rechten Rand. Prominentestes Beispiel bei der laufenden Fußball-Europameisterschaft: der türkische Nationalspieler Merih Demiral. Der hatte nach seinem zweiten Tor beim siegreichen Achtelfinale gegen Österreich (2:1) am Dienstag mit beiden Händen den rechtsextremistischen Wolfsgruß gezeigt. Die Geste mit abgespreizten Fingern ist das Zeichen der türkisch-nationalistischen Gruppierung Graue Wölfe, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet wird.
Die UEFA reagierte und sperrte den Abwehrspieler mit Hang nach rechts außen für zwei Spiele. Vor Demiral hatte der europäische Fußballverband bereits den albanischen Stürmer Mirlind Daku vom Feld genommen. Der tat sich in der Fankurve mit nationalistischen Gesängen hervor. Teile des Publikums sind offenbar ähnlich unterwegs. Medien berichten von einem “Defend Europe”-Banner, das im österreichischen Fanblock entrollt wurde. Der Slogan stammt von der rechtsextremen Identitären Bewegung. Nationalistische Töne waren unterdessen von serbischen und albanischen Anhängern zu hören.
Das Phänomen ist nicht ganz neu. So gab es bei der Weltmeisterschaft 2018 Wirbel um die beiden aus dem Kosovo stammenden Schweizer Spieler Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri. Die hatten beim 2:1 Sieg gegen Serbien eine Geste gezeigt, die an den doppelköpfigen Adler erinnert, der die Flagge Albaniens ziert. “Serbien erkennt das Kosovo nach wie vor nicht als eigenständiges Land an, was den viel diskutierten Jubelgesten eine politische Dimension gibt”, stellte der “Spiegel” damals fest.
Wer aber handelt in solchen Fällen? Was ist mit der nationalen Gesetzgebung? Und wie steht es um die Meinungsfreiheit, wenn man von extremistischen Jubelgesten und Bannern einmal absieht?
Rein rechtlich ist die Lage eigentlich klar, wie der Kölner Experte Jan F. Orth mit Blick auf die EM erklärt. Die Meinungsfreiheit nach Artikel 5 des Grundgesetzes dürfe wegen der Verbandsautonomie nach Artikel 9 des Grundgesetzes und wegen des Hausrechts in den Fußballstadien in der kurzen Zeit rund um die Partien durchaus eingeschränkt werden. Die Verbände seien aufgrund ihrer Autonomie berechtigt, “eigene, höhere Wertvorstellungen aufzustellen und auch durchzusetzen”. Das gelte nicht nur für die UEFA, sondern auch für den Weltfußballverband FIFA und das Internationale Olympische Komitee.
Für den Juristen Orth, der Mitglied der Forschungsstelle Sportrecht an der Universität Köln ist, ein grundsätzlich sinnvoller Ansatz: “Überhaupt keine Äußerungen während der Sportausübung zuzulassen, ist sehr klug, weil man den Fokus dann auf dem Sport belässt und nicht in eine inhaltliche Debatte eintreten muss, was erlaubt ist und was nicht.” In der Theorie kein Problem, in der Praxis aber schon.
Die diplomatischen Verwicklungen, die Demiral mit seiner Geste heraufbeschworen hat, sind groß. Das Viertelfinale der Türkei gegen die Niederlande am Samstagabend dürfte zum Stresstest für Verbandsfunktionäre und Sicherheitskräfte werden, zumal sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zum Stadionbesuch in Berlin angekündigt hat. Der hat Experten zufolge wenig Berührungsängste gegenüber den Grauen Wölfen. Zuvor trifft England auf die Schweiz – mit den Jubel-Irrlichtern Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri.