Selbst der Autor Anselm Bilgri musste zu dem Thema erst überredet werden. Ein Buch über den Zölibat? Das sei doch ein „ausgelutschtes Thema“, meinte der ehemalige Benediktinermönch. Doch seit das Werk in der ersten Septemberwoche auf den Markt kam, sind die Zeitungen voll davon, und auch bei Funk und Fernsehen ist Bilgri als Interviewpartner gefragt. „Bei aller Liebe“ lautet der Titel, und gewidmet hat es der prominente Autor den „fratribus caelibatu oppressis“, den unter dem Druck des Zölibats leidenden Mitbrüdern.
Schon im Vorwort lässt der langjährige Prior von Kloster Andechs den Leser jedoch wissen, dass er keine Bettgeschichten auspacken wird. „Ich sehe keinen Grund dafür, mich, Mitbrüder in den Orden oder Priester im Dienst von Diözesen zu outen, gleich ob hetero- oder homosexuell.“ Die aufgeführten Fälle hat sein Co-Autor und Journalist Gerd Henghuber zusammengetragen. Sie sollen exemplarisch zeigen, wie das Gebot der Ehelosigkeit für Menschen im Dienst der Kirche zur Last wird.
Das Gebot der Ehelosigkeit kann zur Last werden
Bilgri ist denn auch überzeugt, dass die katholische Kirche den Zölibat jetzt freigeben müsse.
1139, beim Zweiten Lateran-Konzil, wurde es Kirchengesetz, dass wer verheiratet ist, nicht Priester werden kann, und wer zum Priester geweiht wurde, nicht heiraten kann. Ein enthaltsames Leben – das ist eigentlich Teil des Gesamtpakets, zu dem sich zunächst die Ordensleute verpflichteten, einschließlich Armut und Gehorsam. Die Praxis zeigte jedoch über die Jahrhunderte, dass der Zölibat „genügend oft nicht gehalten wurde“. Bilgri schätzt, dass heute vielleicht ein Drittel der Priester ihn wirklich lebt.
Der Zölibat dürfte auch einer von mehreren Gründe sein, warum immer weniger Männer den Beruf des Priesters erstrebenswert finden, ist Bilgri überzeugt. Mit Papst Franziskus glaubt der einstige Mönch nun ein Zeitfenster geöffnet, in dem sich etwas ändern könnte. „Realität kommt vor dem Ideal“, habe das Kirchenoberhaupt in dem Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ geschrieben. Vielleicht werde ja mit der Amazonas-Synode im Jahr 2019 etwas angestoßen, so Bilgri – schließlich seien die Bischöfe Südamerikas aufgefordert worden, „phantasievolle Vorschläge“ zu erbringen.
In welche Konflikte Priester mit ihrer Sexualität stürzen, damit sieht sich Joachim Reich in seiner Berliner Privatpraxis für Klinische Sexologie konfrontiert. Der frühere Dominikaner und langjährige katholische Pfarrseelsorger, der inzwischen der anglikanischen Kirche angehört, spricht aus eigener Erfahrung. Als er einst in seiner Not einen Psychiater aufsuchte, hörte der ihm zwar zu, fragte aber nur, warum er nicht einfach alles hinter sich lasse. Aber so einfach ist das nicht, wenn die Betroffenen an ihrer Kirche hängen, ihre Arbeit gern machen. Das versteht oftmals eben nur, wer selber Teil ist.