Die Autorin und Gynäkologin Taslima Nasrin aus Bangladesch lebt in Indien im Exil. Wegen ihrer feministischen Positionen und ihrer Kritik am Islam wurde sie 1994 aus ihrer Heimat verbannt und mit lebensbedrohenden Fatwas, Tötungsaufrufen, belegt. Insbesondere ihr Roman „Lajja“ (Scham) sorgte für Aufregung. Nach zehn Jahren in Europa und den USA zog sie 2004 nach Indien. In Neu-Delhi steht die 62-Jährige unter Polizeischutz. Für Bangladesch sieht sie wenig Hoffnung.
Nach dem Rücktritt von Premierministerin Sheikh Hasina nach wochenlangen Protesten, kann die Übergangsregierung des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus aus Ihrer Sicht ein neues Bangladesch aufbauen?
Taslima Nasrin: Der leitende Berater Yunus wird nichts verändern. Auch wenn er NGOs in die Übergangsregierung bringt. Ursprünglich hieß es, dass nach drei Monaten Neuwahlen durchgeführt werden. Doch bislang ist nicht klar, wann sie stattfinden. Yunus bleibt vage. Außerdem hat er zu spät reagiert, als der Mob die Gottes- und Wohnhäuser der hinduistischen Minderheit zerstört hat. Er konnte ihnen nicht genug Schutz bieten.
Aber sein Übergangskabinett scheint doch eine interessante Mischung zu sein.
Es ist unklar, wer gerade regiert. Yunus und sein Kabinett, die Studenten, die fundamentalistische Partei Jamaat-e-Islami oder die bis vor Kurzem verbotene Terrorgruppe Hizb ut-Tahrir, die Yunus wieder erlaubt hat? Unter seiner Übergangsregierung wurden Sufi-Gräber zerstört und Dschihadisten aus dem Gefängnis entlassen. In der Regierung von Yunus sitzen einige gute Personen, aber die Macht haben andere. Ich habe Sorge, dass Bangladesch ein zweites Afghanistan wird.
Waren Sie vom Sturz der Regierung in Bangladesch überrascht?
Die gestürzte Regierungschefin Sheikh Hasina war korrupt und undemokratisch. Die Menschen waren vor allem wegen der Korruption verärgert. Die Proteste der Studenten begannen, als der oberste Gerichtshof ein 2018 abgeschafftes Gesetz wiederbelebte, das Angehörigen von Kämpfern des Unabhängigkeitskrieges 1971 gegen Pakistan 30 Prozent der Staatsjobs garantiert. Sheikh Hasina ging brutal gegen die jungen Menschen vor und die Demonstrationen eskalierten. Ich war zunächst auf der Seite der Studenten. Doch dann zerstörten sie Symbole unseres Unabhängigkeitskampfes und ich wurde argwöhnisch. Inzwischen vermute ich, dass die Islamisten dahinterstecken.
Geht es bei dem Konflikt also weniger um Privilegien als um Religion?
Hasina hat während ihrer Regierungszeit unzählige Madrasas, islamische Lehreinrichtungen, und Moscheen gebaut. Sie hat den Madrasa-Abschluss mit dem akademischen Master-Abschluss gleichgesetzt. Damit hat sie das Ausbildungssystem beschädigt und dazu beigetragen, dass kein Raum mehr für säkulare Gedanken bleibt. Muslimische Führer haben junge Menschen durch religiöse Gebete einer Gehirnwäsche unterzogen.
Sheikh Hasina galt international als relativ moderat.
Sie galt als Hindu-freundlich und säkular, doch unter ihrer Regierung wurden Minderheiten immer wieder attackiert. Ihr Vorgehen war oft widersprüchlich, etwa gegenüber den Dschihadisten. Einige kamen für ihre Verbrechen nur ins Gefängnis, um der Welt zu beweisen: Wir tun etwas! Gleichzeitig hat Hasina sie aber auch unterstützt.