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Ausstellung zeigt Sigmund Freuds Wirkung auf kreative Werke

Die Kunsthalle Tübingen zeigt, wie sich die Bildende Kunst am großen Psychoanalytiker Freud abarbeitet. Ausgestellt sind rund 100 Werke.

Der Ritt durch Sigmund Freuds Rezeptionsgeschichte startet mit einem Raum voller biografischer Daten, kopfloser Männlein aus geschmolzenem roten Lippenstift von Rachel Lachowicz – und einer Darstellung von Freuds Behandlungszimmer in der Wiener Berggasse 19.

“Er war an antiker Kunst interessiert”, erklärt Kunsthallen-Direktorin Nicole Fritz. Mit damals aktuellen Kunstströmungen habe er nicht viel zu tun gehabt – etwa mit dem Surrealismus. Die surrealistischen Künstler selbst seien aber umgekehrt stark vom Begründer der Psychoanalyse beeinflusst. Zu entdecken ist das in der neuen Sonderausstellung “Innenwelten. Sigmund Freud und die Kunst”. Die Schau öffnet am Samstag und läuft bis zum 3. März.

Der Bezug zum Surrealismus liege auf der Hand, auch weil Freud in Andre Bretons berühmtem surrealistischen Manifest erwähnt wird, erläutert Fritz. Eine Zeichnung Salvador Dalis liefert eine Deutung des Narziss: Eine Hand hält auf der Fingerspitze ein Ei, von einem in sein Spiegelbild verliebten Jüngling ist nichts zu sehen. “La Metamorphose de Narcisse” von 1937 sei eine Vorstufe zum gleichnamigen Ölgemälde, erläutert Monika Pessler. Damit habe der Künstler 1938 Freud in dessen Londoner Exil kurz vor seinem Tod von sich und dem Surrealismus überzeugen wollen, sagt die Direktorin des Wiener Sigmund Freud Museums. Sie ist Ko-Kuratorin der Schau, die in Zusammenarbeit mit dem Wiener Museum entstand.

Eine zeitgenössische Weiterführung der surrealistischen Idee, für die in der Ausstellung Max Ernst und Rene Magritte stehen, vollzieht die Fototapete Barbara Breitenfellners: Das viele Meter lange Werk mit mehrzeiligem Titel entstand 2023 für die Kunsthalle. Es bringe eine neue Perspektive hinein, nämlich die der Überforderung, erklärt Fritz. Schließlich seien die früheren Surrealisten nicht der Bilderflut von heute, wie sie Breitenfellner verdeutlicht, ausgesetzt gewesen.

Expressionistische Arbeiten von Käthe Kollwitz und Oskar Kokoschka, gern auch psychologisierende Porträts, gehören ebenfalls zu den 50 Positionen, die in Tübingen anhand von rund 100 Werken chronologisch wie thematisch den Einfluss Freuds auf die bildenden Künste entfalten. Mit der 1968er Studierenden-Revolte habe sich die Kunst auf Aktion und Ritual ausgeweitet, sagt Fritz. Joseph Beuys, eher kritisch gegenüber Freud eingestellt, ist unter anderem mit “Was ist mit der Kuh?” von 1963 vertreten.

Raumgreifender als Beuys nimmt sich Raphaela Vogels multimediale Installation “Uterusland” von 2017 aus: Aus einem aufgeklappten, überdimensionalen Brustmodell scheint Milch aus weißem Polyurethan zu spritzen und die Form eines Pferdes zu bilden – eine Machogeste, deutet Fritz: “An dieser Brust kommt man nicht vorbei.” Um Eros und Thanatos geht es auch bei den Schwarz-Weiß-Fotografien von Günter Brus unter dem Titel “Selbstbemalung” von 1964 und dem Werk seines Wiener Aktionisten-Kollegen Hermann Nitsch. Ihre feministische Sicht zeigt die Schweizer Künstlerin Heidi Bucher, die “Räume häutet”, um sich von ihrer patriarchalischen Erziehung zu befreien.

In den 1990er Jahren sei die Temperatur der Auseinandersetzung mit Freud eine andere geworden, thematisiert würden nun beispielsweise Therapie-Objekte, sagt Kuratorin Fritz. Ihre Kollegin Pessler zeigt auf das Metallmöbel “Liege” des Österreichers Franz West von 1989. Die sei augenscheinlich nicht so bequem, wie man eine Couch erwarte. Damit illustriere West, wie fordernd und schmerzhaft eine Therapie wahrgenommen werden könne. Benachbart sieht man in einem Lichtkasten von Jeff Wall unter dem Titel “A Woman and her Doctor” eine jüngere Frau auf einem Sofa sitzen, die sich von einem Mann abwendet.

Das Widerständige zeigt sich besonders beim Unheimlichen, also immer dann, wenn etwas zurückkommt, was verdrängt wurde. Ein grotesker Foto-Abzug von Cindy Sherman hängt neben Markus Schinwalds kleinkindgroßen Männer-Marionetten “Misfits” von 2013. Unheimlich wirken auch die Fotos mit Szenen amerikanischer Vorstädte von Gregory Crewdson, die sich an der Grenze zwischen Traum und Realität zu bewegen scheinen. Heute hat für Fritz das Unheimliche mit Blick auf die aktuelle politische Weltlage Konjunktur: “Wir leben in einer Zeit, in der das Verdrängte wieder zurückkommt.”