Eine Ausstellung in Lübeck beleuchtet ab Freitag das Heimatgefühl des bekannten Schriftstellers Günter Grass (1927-2015). Das Günter Grass-Haus zeigt unter dem Titel „Der Nobelpreisträger von nebenan – Grass und Lübeck“ mehr als 60 Aquarelle, Skizzen und Manuskripte des bekannten Wort- und Bildkünstlers. „Es ist die emotionalste Schau der letzten Jahre. Unsere Erinnerungen an ihn fließen in die Ausstellung ein“, sagte Museumsleiter Jörg-Philipp Thomsa am Donnerstag in Lübeck. Die Schau ist bis zum 13. April 2026 zu sehen, dem elften Todestag von Grass.
Der Titel der Schau sei doppeldeutig zu verstehen. Zum einen sei Grass sehr volksnah gewesen. In Lübeck habe er auf der Straße Autogramme gegeben und Selfies mit Fans gemacht. „Man konnte ihn beim Cordhosenkauf erleben, das unterschied ihn von Autoren wie etwa Thomas Mann“, sagte Thomsa. Zum anderen lebte Grass die letzten 30 Jahre seines Lebens mit seiner Frau im 25 Kilometer entfernten Behlendorf, was damit in direkter Nachbarschaft zu Lübeck liegt. In seinem Zuhause malte Grass in den 1990er Jahren zahlreiche Natur-Aquarelle, von denen einige in der Schau gezeigt werden.
Mit Lübeck war Grass eng verbunden, obwohl er nicht aus der Hansestadt stammte. Grass wurde am 16. Oktober 1927 in Danzig geboren. „Schon als Schüler schrieb er Gedichte in den Dünen, sammelte Bernstein an der Ostseeküste“, erklärte Kuratorin Julia Wittmer. Im Zweiten Weltkrieg wurde Danzig zerstört und Grass’ Kindheit endete abrupt. „Das Idyll war gebrochen, wie wir es in Grass’ Werk auch oft finden“, so Wittmer.
Die Liebe zum Wasser zieht sich aber durch das Leben des Multitalents, das nach dem Krieg in Düsseldorf Kunst studierte, mit seinem Debütroman „Die Blechtrommel“ (1959) international bekannt wurde und 1999 den Literaturnobelpreis bekam. Markantestes Objekt der Ausstellung ist ein Wasserfall, auf den Adjektive projiziert werden, mit denen Grass die Ostsee bezeichnete.
„Dieser ‘Wortfall’ steht für die Strömung des Lebens, das sich im Fall von Grass an Wasseradern bewegte“, erklärte Wittmer. So sind in der Schau auch Steine und Taue ausgestellt, die Grass am Strand sammelte und anschließend malte. Ein Schwarz-Weiß-Foto zeigt ihn, wie er mit einem Stock am Ufer der Elbe Bilder in den Sand zeichnet.
Direkt daneben ist ein Aquarell von Grass mit einer gelben Badeente im Meer zu sehen. Was harmlos aussieht, hat einen ernsten Hintergrund. Das Bild stamme aus seinem Werk „Mein Jahrhundert“ (1999), erklärte Wittmer. In dem Kapitel zu dem Bild erzählt Grass die Geschichte der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur, die sich 1979 zur Rettung vietnamesischer Flüchtlinge im Südchinesischen Meer gründete und von Grass stark unterstützt wurde.
An der Wand gegenüber hängt ein Stadtplan von Lübeck mit Fotos und Texten über Grass an verschiedenen Orten der Hansestadt. Grass habe sich immer für die Stadtgesellschaft engagiert, sagte Wittmer. Er trug sich „Goldene Buch“ der Stadt ein, hielt Lesungen und Wahlkampfreden. Auch seine Ehrung als „Pfeifenraucher des Jahres 2000“ ist dokumentiert.
Lübeck war Grass’ Wahlheimat. 1995 verlegte er sein Sekretariat von Berlin ins heutige Günter-Grass-Haus in Lübeck. Bis zu seinem Tod 2015 war er dort regelmäßig anzutreffen, verwaltete in seinem Büro fünf Stiftungen und empfing Besucher. Auch die Pressekonferenz nach der Verkündung des Literaturnobelpreises an ihn fand 1999 dort statt. Häufig besuchte er seinen Freund Kurt Thater im benachbarten Wein-Castell. „Mit seiner gotischen Bauweise, der Trave und den engen Gassen erinnerte Lübeck ihn an seine Heimatstadt Danzig“, sagte Wittmer.