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Außenseiter und Antiheld – Arte-Doku über Komponisten Erik Satie

Ein Antiheld der Musik, einer, der die gängigen Regeln auf den Kopf stellte: Das war der französische Komponist Erik Satie, dem die große Anerkennung zeitlebens verwehrt blieb – und der doch bis heute verehrt wird.

Er nahm die Zwölftonmusik vorweg, ebnete der elektronischen Musik den Weg, beeinflusste den Jazz und den Impressionismus, war ein Wegbereiter des Surrealismus und zentrales Vorbild für musikalische Schwergewichte des 20. Jahrhunderts – wie Philipp Glass, John Cage und Steve Reich. Doch als er 1925 am jahrzehntelangen Alkoholkonsum starb, fanden ihn seine Freunde in einer erschütternd ärmlichen Wohnung vor: Erik Satie, der mit seinen einfachen, poetischen und ganz und gar ungewöhnlichen Kompositionen die gängigen Regeln der Musik auf den Kopf stellte.

Zu seinem 100. Todestag zeigt Arte am 13. Juli ab 23.10 Uhr den Film “Erik Satie – Ein Komponist außerhalb der Zeit”. Filmemacher Gregory Monro zeichnet mithilfe von Archivmaterial und auditiven wie visuell-szenischen Interpretationen von Saties Musik – umgesetzt von zahlreichen Musikern und Künstlern – das Bild eines Mannes, der sich in keinen Rahmen zwängen ließ.

Der 1866 im nordfranzösischen Honfleur geborene Satie gehörte zeit seines Lebens keiner Richtung oder Schule an, widersetzte sich den geltenden Prinzipien, blieb im Paris der Jahrhundertwende stets ein Außenseiter. Anders als die Wagner-Opern mit ihrer “überladenen, emotional manipulativen Musik”, die die Epoche prägten und auf festen Harmoniesystemen und Akkorden in einer vorhersehbaren Logik basierten, priorisierte Satie den Kontrapunkt und setzte auf nicht weniger als “eine neue Art des Hörens”, wie es der Musikwissenschaftler Jean-Pierre Armengaud hier formuliert.

Saties bis heute bekanntestes Werk sind die “Gymnopédies”; die melancholisch-repetitiven Strukturen werden etwa häufig in Film-Soundtracks verwendet. Diese recht gefälligen Klavierstücke sind jedoch eher die Ausnahme im Werk des ewigen Provokateurs Satie. “Ein Außerirdischer, der alles umwirft”, sei dieser gewesen: Das sagt der Pianist Nicolas Horvath. Der französische Musiker muss es wissen: Er hat alle Werke des exzentrischen Komponisten gespielt.

Also etwa auch die – wie von Satie vorgegebenen – 840 Wiederholungen der “Vexations” (auf deutsch: Quälereien), bis heute ein Performance-Klassiker. 35 Stunden dauerte Horvaths längste Aufführung, zwischendurch bekam er heftige Krämpfe. Der Pianist erzählt aber auch, wie er nach etwa 700 Wiederholungen “einen Moment der Gnade” erlebt habe: “Für einen kurzen Moment zog an der Wand vor mir mein ganzes Leben vorbei”. Wie eine Droge wirke diese Musik, ergänzt Armengaud, “ein psycho-musikalisches Projekt”.

Die deutsche Pianistin Alice Sara-Ott drückt es so aus: Als Interpretin von Saties Stücken sei man gezwungen, sich “ganz auf den Moment zu konzentrieren”, da es sich nicht um die typischen Strukturen mit Anfang, Weiterentwicklung und Variationen handle. “Stattdessen schwebst du in der Luft – ohne je anzukommen oder den Boden zu berühren”. Zudem verzichtete Satie auf Takt- und Zählangaben, gab seinen Interpreten stattdessen skurril-vage Anweisungen à la “Vergraben Sie den Ton!” mit auf den Weg – und damit großen Interpretationsspielraum.

Filmemacher Monro nutzt diesen nun auf seine Weise, bebildert Saties Musik etwa mit in warmes Gelb oder Grün getauchten Inszenierungen vom Strand: einer Tänzerin, Rosenblättern in der Brandung, einem dekorativ verwitterten Klavier… Das mutet ein wenig kitschig an, ebenso wie die offensichtlich KI-generierten René-Magritte-artigen Bilder im Abspann, schmälert aber kaum das Verdienst eines kurzweiligen, informativen und ziemlich umfassenden Einblicks in Leben und Werk eines schwer zu greifenden Künstlers.

Toll sind vor allem die interessanten Gesprächspartner, die anschaulich über recht Abstraktes zu sprechen vermögen; wunderbar zudem die Archivaufnahmen von Zeitgenossen Saties wie Jean Cocteau, die Erhellendes und Witziges über ihren Freund beizutragen haben. Eine gelungene Hommage an einen Menschen, der ohne Rücksicht auf das eigene Fortkommen stets den Mut hatte, neue Pfade zu beschreiten – und damit den Weg für so viele Kunstschaffende und kreative Strömungen des 20. und 21. Jahrhunderts bahnte.