Pressekonferenz bei einem Bundesligaverein. Als der Trainer erfährt, dass als Gäste auch Vertreter einer Kirchenzeitung anwesend sind, sagt er laut ins Mikrofon: „Legt doch mal bei eurem Boss da oben ein gutes Wort für uns ein. Wir können es gebrauchen.“
Der Verein stieg zum Ende der Saison trotzdem in die zweite Liga ab. Ob der Trainer im sonstigen Leben ein gläubiger Mensch ist, wollte er nicht verraten. Bemerkenswert aber ist, dass der Mann in seiner Not sich nicht zu albern vorkam, vor laufenden Kameras die Fürsprache bei Gott zu erbitten.
Beim Fußball ist es manchmal wie auf hoher See, bei Motorradfahrern oder Extrem-Bergsteigern. Wenn man gewahr wird, wie eng es werden kann, dann ist es plötzlich wieder da: das Gespür für Gott – oder zumindest für irgendeine höhere Macht. Ein Kreuz am Halskettchen. Ein Engel als Schlüsselanhänger. Ein Heiligen- oder Marienbildchen auf den Bizeps tätowiert. Das Gespür mag diffus sein, verschwommen. Aber es ist da.
Stürmer blickt gen Himmel, Fans zelebrieren Rituale
Da blickt der Stürmer nach dem Tor in den Himmel, verharrt einen Augenblick in stiller Dankbarkeit. Da zelebrieren Zehntausende in den Fankurven gottesdienstähnliche Rituale, um einen gewaltigen Energiestrom aufzurufen und ins Stadion auszugießen und damit auch aufs Spielfeld. Teammanager und Motivationstrainer schleppen ihre Superstars vor wichtigen Spielen ins Kloster oder seit einiger Zeit auch in vereinseigene Kapellen, um sie in Einkehr und Besinnung vorzubereiten: Wenn schon nicht für den Sieg, so beten wir doch für die Bewahrung in Not und Gefahr.
Man wundert sich: Es ist doch nur Fußball.
Nur Fußball?
Fußball kann zum Ernstfall des Lebens werden. Und für viele ist er das regelmäßig.
Fußball kann zum Ersatz werden, für Familie. Für Religion. Woche für Woche verschafft in der Bundesliga der Lieblingsverein Identifikation, das Gefühl für Zugehörigkeit. Eine Bindung, die so stark werden kann, dass sie völlig irrational alle anderen Bindungen überlagert. Gesteigert wird das noch bei Turnieren wie der Weltmeisterschaft oder jetzt der Europameisterschaft: Wenn Nationalmannschaften gegeneinander spielen, werden „wir“ Europameister. Oder „wir“ verlieren und versinken als Land tagelang in kollektiver Trauer.
Der Fußball rührt an urtümliche, atavistische Instinkte. Und zwar sowohl auf dem Spielfeld als auch auf den Rängen. Kämpfen, hoffen, bangen, leiden, jubeln. Einerseits ist es gut, dass derartige Regungen, die mit dem Aggressionstrieb verknüpft sind, nicht unterdrückt werden. Sie müssen ausgelebt werden, kanalisiert. Solange die Bahnen der Kanalisation standhalten, ist das wertvoll für das menschliche Miteinander.
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Fußballs für die Jugendarbeit, auch im kirchlichen Bereich. Sport ist wichtig, um die schier unbändige Energie heranwachsender junger Menschen zu bändigen. Während das gemeinsame Volleyballspielen auf Freizeiten und Jugendgruppen dabei eher dem Ausgleich im Temperament von Jungen und Mädchen dient, war Fußball vor allem immer eines: auspowern. Verausgaben. Kampf bis zur totalen Erschöpfung. Bis vor etwa 20 Jahren waren dabei Mädchen nur ausnahmsweise zu sehen. Heute hat sich das ein ordentliches Stück geändert.
Ich persönlich hatte das große Glück, dass mein Pfarrer ein ausgezeichneter Sportler war. Er konnte kicken. Damit wurde er zum Vorbild und Zugpferd in einer Jugendarbeit, in der neben der Musik der Fußball starker Magnet war, und anders als in den Sportvereinen kamen hier auch jene zum Zug, die nicht unbedingt mit dem größten Talent überschüttet waren. Das war eben der Segen der Kirche: Man musste nicht perfekt sein, um mitmachen zu dürfen.
Zunächst in der Konfirmandengruppe, dann auf Freizeiten in Skandinavien, später dann bei Turnieren mit CVJM und katholischer Nachbargemeinde und schließlich in einer eigenen, regelmäßigen Gruppe am Samstagnachmittag: Der Fußball brachte Menschen in die Gemeinde, die sonst vermutlich nie eine Kirche von innen gesehen hätten. (Kleine Anmerkung am Rande: Noch heute, 40 Jahre später, spielen Mitglieder dieser Gruppe gelegentlich zusammen – inzwischen längst mit ihren erwachsenen Kindern und zum Teil sogar mit den Enkeln.)
Fußball, das ist ein wunderbares Erleben: ehrlich, ursprünglich. Kampf und Schweiß. Kameradschaft. Da gibt der Leiter eines Amtsgerichtes dem Mitarbeiter aus dem Grünflächenamt eine Vorlage für den Torschuss. Die 16-jährige Alevitin spielt Doppelpass mit dem Russlandaussiedler. Fußball ist Gewinnen. Aber auch Scheitern. Und das Scheitern verdauen. Fußball ist Rausch und Ekstase. Fußball ist gut, wenn es nach dem Spiel vorbei ist: Spätestens unter der Dusche sollten Härte und Aggression abgespült sein. Man kehrt zurück ins normale Leben.