Gegner und Befürworter des umstrittenen Ausbaus der Brennelementefabrik Framatome-ANF im emsländischen Lingen haben den am Freitag unter Beteiligung der russischen Atombehörde Rosatom zu Ende gegangenen dreitägigen Erörterungstermins zu dem Projekt ganz unterschiedlich bewertet. Während sich Atomkraftgegner in ihren Bedenken gegen das Vorhaben bestätigt sahen, sprach ein Framatome-ANF-Vertreter von einer „deutlichen Unterstützung“ für das Kooperationsprojekt.
In vielen zentralen Fragen seien die Konzernvertreter den Fragen der Einwender ausgewichen, erklärten mehrere Initiativen. Zudem seien „erschreckende Sicherheitslücken“ im Umgang des Betreibers mit Rosatom offensichtlich geworden.
Framatome-ANF will in Lingen künftig auch Brennstäbe für Atomreaktoren russischer oder sowjetischer Bauart herstellen und hat dafür eine Zusammenarbeit mit Rosatom vereinbart. Vor allem wegen Sicherheitsbedenken hatte es rund 11.000 Einwendungen gegen das Vorhaben gegeben, darüber wurde bei dem Erörterungstermin diskutiert.
Die Gegner der Kooperation erklärten, nunmehr zeichne sich ab, dass die Zusammenarbeit mit Rosatom langfristig bestehen bleiben könnte. Frühere Aussagen Framatomes, dass die Kooperation nur eine „kurzfristige“ Übergangslösung sei, seien damit revidiert worden. Auf Fragen zum Verhältnis Framatomes zur Ukraine und zur militärischen Besetzung des ukrainischen AKW Saporischschja unter Beteiligung von Rosatom seien die Framatome-Vertreter gar nicht eingegangen.
„Der Erörterungstermin hat in dramatischer Form verdeutlicht, mit welcher Naivität Framatome-ANF dem Kreml-Konzern Rosatom den roten Teppich ausrollt“, sagte Alexander Vent vom Bündnis AgiEL – Atomkraftgegnerinnen im Emsland. Die fehlenden Sicherheitsüberprüfungen von 20 in Lingen tätigen Rosatom-Mitarbeiter seien ein eklatantes Beispiel dafür, „dass Framatome die aggressive Politik der russischen Regierung und die enge Verquickung Rosatoms mit den russischen Geheimdiensten nicht ernst nimmt“.
ANF-Geschäftsführer Andreas Hoff sagte hingegen: „Die vergangenen Tage haben deutlich gemacht, dass es in der Region keine nennenswerte Mobilisierung gegen unser Vorhaben gibt. Vielmehr können wir eine deutliche Unterstützung verzeichnen, auch von Seiten unserer Belegschaft und der Gewerkschaft.“
Ziel des Projektes sei es, die energiepolitische Unabhängigkeit von Russland zu stärken und die Versorgungssicherheit innerhalb Europas zu erhöhen. Die Diskussion in Lingen bot Hoff zufolge „eine konstruktive Plattform für den Dialog. Wir hatten die Möglichkeit, alle Einwände sachlich und umfassend zu erörtern und offene Fragen zu beantworten.“
Ganz anders die Einschätzung von Angelika Claußen, der Vorsitzenden der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW. Sie sagte, der Erörterungstermin habe deutlich gemacht, „dass Framatome-ANF Fakten über die umfassende Verantwortung von Rosatom im zivilen und militärischen Bereich der Atomkraft, also auch für Atomwaffen, systematisch ausblendet“. Aus Sicht von IPPNW sei eine Firmenkooperation mit einem solchen Partner inakzeptabel.
Über den Antrag von Framatome-ANF muss zunächst das Niedersächsische Umweltministerium entscheiden. Grundlage dafür sind die Ergebnisse des Erörterungstermins sowie Stellungnahmen mehrerer Bundesministerien und Sicherheitsbehörden. Sobald das Umweltministerium in Hannover den Entwurf eines Bescheids erarbeitet hat, wird dieser zu einer bundesaufsichtlichen Prüfung nach Berlin übermittelt. Wie lange das Verfahren noch dauert, ist unklar.