Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Der sogenannte Arabische Frühling ging im Westen mit der Illusion einher, allein die Beseitigung jahrzehntealter Diktaturen werde schon für demokratische Strukturen sorgen. Deshalb konnte es nicht schlecht sein, Milizen im Aufstand gegen Syriens Machthaber Baschar al-Assad zu unterstützen. Warnungen syrischer Kirchenführer wurden beiseite gewischt. Dabei trieb sie nicht vermeintlicher Anteil am Machterhalt – sondern die Sorge vor dem noch größeren Übel.
Rückblende: Der „Arabische Frühling“ 2011 wurde von Tunesien aus zum Flächenbrand. Despoten und Regime fielen wie Dominosteine: Tunesiens Zine el-Abidine Ben Ali, Libyens Muammar al-Gaddafi, Ägyptens Hosni Mubarak. Die kleingehaltenen Christen der Region erlangten damit allerdings nicht wirklich Freiheit. Im Gegenteil: Sie und andere Minderheiten verloren mit den Diktatoren auch ihre Schutzmacht gegen den radikalen Islam. In den Nachfolgekriegen erstarkten die Islamisten; die Christen werden bis heute zwischen den Fronten zerrieben. Die insgesamt unklare Gemengelage treibt Hunderttausende Christen zum Verlassen des Landes.
Es ist, historisch gesehen, ein vierter massiver Aderlass für das Christentum, das sich, lange bevor es auch nach Europa kam, von Jerusalem aus nach Kleinasien, Mesopotamien und Nordafrika ausbreitete. Dass es gerade im Nahen Osten eine verwirrende Vielfalt christlicher Kirchen und Denominationen gibt, liegt – wie später auch im Islam – an den streitvollen Findungsprozessen der eigenen Lehr- und Glaubenssätze.
Ausbreitung des Islam im 7. Jahrhundert
Im Zuge der spätantiken ökumenischen Konzilien entstanden vier Kirchenfamilien mit je eigenen Liturgieformen: die sogenannten Kirchen des Ostens; die frühen orthodoxen Kirchen der Syrer, Kopten, Äthiopier und Armenier; die spätere griechische und georgische Orthodoxie und zuletzt die diversen mit Rom verbundenen katholischen Kirchen.
Einen ersten historischen Rückschlag erlitt das Christentum mit der islamischen Expansion des 7. Jahrhunderts. Ganz Nordafrika und die Arabische Halbinsel gingen im Handstreich und dauerhaft für das Christentum verloren.
Der Fall des „Heiligen Landes“ an die Muslime läutete im 11. Jahrhundert das Zeitalter der Kreuzzüge ein. Das christliche Byzanz, Sitz des oströmischen Kaisers und des Patriarchen von Konstantinopel, fiel 1453 – nachdem die „Lateiner“ ihre ostkirchlichen Glaubensbrüder im Vierten Kreuzzug blutig erobert und dauerhaft geschwächt hatten. Die Osmanen herrschten später bis hinauf nach Bosnien und billigten den Christen allenfalls eine Rolle als geduldete Minderheit zu.
Über all diese Jahrhunderte jedoch blieben die Christen in vielen Regionen eine namhafte Minderheit, teils sogar die zahlenmäßige Mehrheit. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts machten sie in Istanbul, im Irak oder in Syrien 30 oder mehr Prozent der Bevölkerung aus. Der Zerfall des Osmanischen Reiches brachte jedoch eine Pogromstimmung islamischer Neo-Nationalisten mit sich.Diese „dritte Welle“ vor und im Zuge des Ersten Weltkriegs führte zum Völkermord an den Armeniern und an der sogenannten Kirche des Ostens, den Aramäern im Gebiet der heutigen Türkei, Syriens und des Irak.