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Aus dem KZ zur ersten hessen-nassauischen Pfarrerin

Die Worte, mit denen man Katharina Staritz (1903-1953) zum ersten Theologieexamen gratulierte, muten wie Zynismus an: „Ich beglückwünsche Sie zu einem außerordentlich guten Examen und dem vielen Wissen, was Sie gezeigt haben. Es tut mir nur leid, dass Sie das alles gar nicht mehr verwenden können.“ Die damals 25-Jährige ließ sich nicht beirren. Als eine der ersten Frauen wurde sie wenig später an der Theologischen Fakultät Marburg promoviert. Am 1. April 1950 wurde Staritz als erste Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) in eine Pfarrstelle eingesetzt, als Frankfurter Stadtvikarin für Frauenarbeit.

Katharina Staritz stieg nach dem zweiten Theologieexamen in ihrer Heimatstadt Breslau 1932 in die Jugend- und Frauenarbeit sowie die Kinderklinik-Seelsorge ein. Als Vikarin, denn das Pfarramt war Männern vorbehalten. Daran änderte auch ihre Ordination 1938 nichts. In Breslau war Staritz für konvertierte Juden zuständig. Der Bekennenden Kirche angehörend, die der rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten ablehnend gegenüberstand, leitete sie ab 1939 die Außenstelle des Berliner „Büro Pfarrer Grüber“, einer Hilfsstelle für „nicht-arische“ Christen. Sie verhalf mehr als 100 Frauen und Männern zur Auswanderung und damit zum Überleben.

„Katharina Staritz war eine große Theologin, die mit ihrem Engagement während des NS-Regimes und ihrem Einsatz für die Gleichstellung von Frauen im Amt praktisch auf ein Privatleben verzichtete“, sagt Helga Engler-Heidle, die das Frauenpfarramt in Frankfurt am Main von 1985 bis 2001 leitete. „Sie hätte sich auch gerne habilitiert, was Frauen aber damals nicht möglich war.“

Die Kirchenleitung missbilligte ihr Handeln und setzte ihm 1941 ein Ende. Weil Staritz in einem Rundbrief das verordnete Tragen des Judensterns attackiert und Pfarrer an ihre christliche Verantwortung für getaufte Jüdinnen und Juden erinnert hatte, wurde sie von allen Dienstobliegenheiten beurlaubt und gedrängt, Breslau zu verlassen.

Sie ging nach Marburg. 1942 deportierten die Nationalsozialisten Staritz ins „Arbeitserziehungslager Breitenau“, dann ins Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Dass sie nach einem Jahr „probeweise“ entlassen wurde, hatte die Theologin ihrer Schwester Charlotte und deren Insistieren bei Kirchen- wie staatlichen Behörden zu verdanken.

Zurück in Breslau und unter Aufsicht der Gestapo zur Untätigkeit verdammt, floh Staritz im Januar 1945 mit Schwester und Mutter wieder nach Marburg. Die Landeskirche Kurhessen-Waldeck beauftragte sie mit Vertretungsdiensten, Gefängnisseelsorge, Religionsunterricht und dem Entwurf einer Vikarinnen-Ordnung. Ihre Ordination wurde aber nicht anerkannt.

Der Theologe und NS-Widerstandskämpfer Martin Niemöller, mittlerweile Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), holte sie schließlich 1949 als Vikarin für Frauenarbeit an die Frankfurter Katharinenkirche. Am 1. April 1950 wurde sie zur Beamtin auf Lebenszeit ernannt. Auch ein Predigt- und Seelsorgeauftrag an der St. Katharinen-Gemeinde gehörte zu ihrer Stelle.

Staritz habe darauf bestanden, pfarramtliche Aufgaben wie Gottesdienste und Predigten zu übernehmen, berichtet die ehemalige Frauenpfarrerin Engler-Heidle. Staritz’ Amtsbrüder seien deshalb empört gewesen und hätten ihr das Leben schwer gemacht.

Wegen einer Krebserkrankung schied sie 1952 aus dem Dienst und verstarb Anfang des Folgejahres mit nur 49 Jahren. Zum Bedauern Engler-Heidles erinnert in der EKHN nichts an die Verdienste der Theologin. Staritz’ direkte Nachfolgerin in der Frauenarbeit, Gerlind Schwöbel, schrieb 1990 eine Biografie über sie und setzte sich für eine Gedenktafel ein. Die gebe es bis heute nicht, kritisiert Engler-Heidle.