Mit weißem Anzug, Hut und Spazierstock sticht er zwischen den Touristen an der Alten Brücke in Heidelberg hervor: Der Stadtführer Klaus Mombrei alias Mark Twain schwärmt in amerikanischem Akzent von der malerischen Stadt, die an der Mündung einer engen Schlucht „in Form eines Hirtenstabs“ liegt. Er erzählt von den Studenten, die sich mit ihren Säbeln duellieren und jammert über die „furchtbare Sprache Deutsch“. Dann geht der Gästeguide, der mit dem Schnauzbart, den weißen, gewellten Haaren und buschigen Augenbrauen tatsächlich Ähnlichkeiten mit dem Schöpfer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn hat, an Bord eines Ausflugsschiffes.
„Deutschland ist im Sommer der Gipfel der Schönheit, aber niemand hat das höchste Ausmaß dieser sanften und friedvollen Schönheit begriffen, wirklich wahrgenommen und genossen, der nicht auf einem Floß den Neckar hinabgefahren ist“, so schreibt Mark Twain (1835-1910) der mit bürgerlichem Namen Samuel Langhorne Clemens hieß, in seinem Reisebericht „Bummel durch Europa“ („A Tramp Abroad“).
Twain, der als Lotse auf verschiedenen Mississippi-Dampfern bis zu Beginn des Amerikanischen Bürgerkriegs arbeitete, scheint auch Gefallen an dem viel kleineren Neckar gefunden zu haben. In seinem „Bummel durch Europa“ berichtet er, wie er auf einem Floß auf dem Neckar von Heilbronn nach Heidelberg fuhr und am Ende seiner Reise gegen einen Pfeiler der Heidelberger Brücke krachte und das Floß kenterte.
Diese Beschreibung der dramatischen Floßfahrt darf allerdings nicht unbedingt für bare Münze genommen werden. „Sie entspringt wohl der Fantasie“, ist Holger Kersten, Professor für Amerikanistik an der Universität Halle-Wittenberg überzeugt. „Allerdings hat Mark Twain von seinem Hotelfenster in Heidelberg aus Flöße auf dem Neckar gesehen und dies in seinem Notizbuch festgehalten.“ Auch Kollisionen von Flößen an der Brücke habe es tatsächlich gegeben „und Mark Twain könnte eine solche Kollision gesehen haben, von der die Heidelberger Zeitung während seines Aufenthalts berichtete“, so der Twain-Experte. Auf dem Wasser war Twain dann doch wohl eher mit seinem Begleiter auf einem gemieteten Boot unterwegs.
Als Twain im April 1878 zu seiner Europareise aufbrach, ging es ihm darum, „wenigstens eines von einem halben Dutzend Büchern, die unvollendet herumliegen“, fertigzustellen, wie er schreibt. Fast anderthalb Jahre war er mit seiner Familie in Deutschland, der Schweiz, Italien, Frankreich und England unterwegs. Von Hamburg, wo die Reisegesellschaft mit dem Atlantikdampfer angekommen war, reiste sie Richtung Südwesten und kam schließlich in Heidelberg an, wo sie drei Monate lebte.
Auch wenn manchem Heidelberger die Idee gefällt: Dass Twain durch seinen Besuch in der Universitätsstadt auf den Namen „Huckleberry“ kam, ein Wort, das in Nordamerika für die Heidelbeere steht, kann nicht stimmen. „Huck Finn taucht schon in dem Buch ‘Die Abenteuer des Tom Sawyer’ von 1876 auf, also bevor Mark Twain seine Deutschlandreise begann“, klärt Kersten auf. In der amerikanischen Umgangssprache werde „huckleberry“ allerdings auch für eine unbedeutende Person verwendet — eine Charakterisierung, die gut zu der Figur Huckleberry Finn passt.
Klaus Mombrei, der bereits seit 20 Jahren immer wieder in die Rolle von Mark Twain schlüpft, nimmt seinen Spazierstock, tippt an seinen Hut und geht in Neckargemünd von Bord. Ob mit einem Floß, oder doch eher der Eisenbahn, einem Boot oder zu Fuß – Twain erkundete auf jeden Fall in seiner Heidelberger Zeit die Umgebung und besichtigte damals auch die Burg Dilsberg in Neckargemünd.
Dort im Innenhof der Burg begegnete er Kindern an einem Brunnen, die ihm erzählten, dass sich in dem Brunnen ein unterirdischer Gang befinde, schreibt Twain in seinem Reisebericht. Heute ist der Brunnenstollen der Burg Dilsberg eine Touristenattraktion. Tatsächlich führt ein etwa 78 Meter langer Gang vom Brunnen in den Wald.
Indirekt ist es Twain zu verdanken, dass dieser Stollen, von denen es nur wenige in Deutschland gibt, wieder zugänglich ist. Angeregt von den Schilderungen in „Ein Bummel durch Europa“ reiste der Deutsch-Amerikaner Fritz von Briesen um 1900 aus New York zum Dilsberg, um den „sagenhaften“ Stollen zu finden. Er ließ sich in den Brunnen hinabseilen und fand unten in der Tiefe den Stollenabgang. 1926 wurde der zugeschüttete Stollen auf seine Kosten freigelegt.
Wenn die Fledermäuse aus dem Winterschlaf erwacht sind, führt Hagen Volp Gruppen in den kühlen, feuchten Stollen. Er war wohl nicht als Geheimgang gedacht, sondern wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg gebaut, um den Brunnen auf seine heutigen 46 Meter zu vertiefen, weil das Wasser für die Bevölkerung damals nicht mehr ausreichte. In Knochenarbeit entstand mit Hammer und Meißel ein Weg zum Brunnen, der für Belüftung sorgte und auf dem das Gestein abtransportiert werden konnte.
Zum Schluss verteilt Volp, Gästeführer auf der Burg Dilsberg, süße Giotto-Kugeln, die viel mit Mark Twain zu tun haben, erklärt er schmunzelnd. Denn die Süßigkeit unter dem Namen „Giotto“ nimmt Bezug auf Giotto di Bondone (1266-1337), den florentinischen Architekten und Maler, der auf einem Bild der Geburt Christi über dem Stall einen Kometen dargestellt hat, der in der Form dem Kometen “Halley” sehr ähnlich ist.