Herr Schürer-Behrmann und Herr Ku?micki, lange war die Oder eine Grenze. Heute stehen die Brücken über den Fluss, wie hier in Frankfurt r), für ein offenes Europa. Menschen aus Polen und Deutschland wechseln täglich auf die andere Seite. Sie kaufen ein, arbeiten und studieren gemeinsam. Welche Begegnungsmöglichkeiten bieten ihnen die Kirchen?
Tadeusz Ku?micki: Verschiedene Veranstaltungen finden im Verlauf des Kirchenjahres statt. So zwei große deutsch-polnische Ökumenische Gottesdienste zu Pfingsten und im Januar zur Gebetswoche für die Einheit der Christen. Zu Weihnachten beten wir auch gemeinschaftlich für den Frieden, nach der Übergabe des Friedenslichts von Bethlehem auf der Stadtbrücke.
Frank Schürer-Behrmann: Es gibt regelmäßig Vorträge und Gespräche vom Oekumenischen Europa-Centrum in Frankfurt (Oder). Auch die ökumenische Studierendenarbeit an der Europa-Universität Viadrina und die Verbindung zum Haus Parakletos der katholischen Studierenden in S?ubice sind wichtige Säulen unserer Kooperation.
Herr Schürer-Behrmann, seit 2004 sind Sie Superintendent in den Regionen nahe der Oder. Im April waren Sie Teilnehmer der zweiten Konsultation der Bischöfe an Oder und Neiße, in deren Zentrum die Frage stand: „Wie kann die Gemeinschaft an der Oder noch weiter vertieft werden?“ Was braucht es Ihrer Meinung dazu?
Schürer-Behrmann: Die Sprache stellt eine hohe Hürde dar. Sowohl Polnisch als auch Deutsch sind schwer zu erlernen. So ist ein spontanes Gespräch oft nicht möglich. Wir müssen daher auch andere Formen der Begegnung suchen.
Ku?micki: Ja, letztlich braucht es eine hohe Motivation, um die andere Sprache zu lernen. Wichtig sind Begegnungen, aus denen der Wunsch erwächst, einander besser zu verstehen. Wir lernen nur das, was wir wirklich wollen.
Sie sprechen perfekt Deutsch. Wie haben Sie es gelernt?
Ku?micki: Ich hatte bereits Deutsch in der Schule. Als Promotionsstudent lebte ich dann in Deutschland im Priesterseminar und war in einer deutschen Gemeinde in Paderborn-Wewer eingesetzt. Ab 2012 kam ich für drei Jahre als Studierendenpfarrer nach S?ubice und Frankfurt.
Schürer-Behrmann: Diese Zeit und die guten Beziehungen sind bis heute Grundlage unserer Kooperation. Doch wünschte ich mir noch mehr Verbindungen auf Gemeindeebene. Eine kleine Schwierigkeit, die ich dabei sehe, ist die Unterschiedlichkeit in unserer Glaubenspraxis. Während für katholische Gläubige eher der Besuch der Messe im Vordergrund steht, sind es für viele evangelische Christen Kreise und Veranstaltungen, die das Gemeindeleben prägen. Außerdem könnten die Kirchen mehr Möglichkeiten zur Begegnung im Jugendbereich schaffen. So soll 2023 die erste Ökumenische Sommerakademie stattfinden, an der junge Menschen von 18 bis 25 Jahren aus fünf bis zehn Kirchen zusammenkommen.
Herr Ku?micki, wo sehen Sie die Herausforderungen in der ökumenischen Zusammenarbeit?
Ku?micki: Unsere gemeinsame Geschichte ist belastet. Es gibt auch heute sensible Themen. Daher ist es besonders wichtig, mit kleinen Schritten persönliche Beziehungen wachsen zu lassen. Wir kommen uns auf beiden Seiten des Flusses immer näher – als Teile einer größeren Gemeinschaft, in der wir alle Geschwister sind. Die nationalen Unterschiede spielen in der Ökumene keine Rolle.
Schürer-Behrmann: Ja, denn in unserem Ökumenischen Zusammenwachsen geht es nicht in erster Linie darum, wissenschaftliche oder politische Themen zu diskutieren oder sie zu lösen, sondern voneinander zu wissen und hier vor Ort gut zusammenzuleben. Unsere Basis ist dabei die Charta Oecumenica – uns in unserer Unterschiedlichkeit wertzuschätzen und gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben einzustehen.
Ku?micki: Es ist wichtig, dass wir uns auf allen Ebenen als Menschen begegnen. Und da, wo wir die jeweils andere Sprache (noch) nicht beherrschen, können wir auch ohne Worte ganz praktisch etwas miteinander tun und uns dabei besser kennenlernen.
Was meinen Sie damit konkret?
Schürer-Behrmann: Ein gutes Beispiel dafür ist das Erlebnis des gemeinsamen Gehens beim Kreuzweg am Palmsonntag. Evangelische und katholische Gläubige tragen das Kreuz dabei in Gruppen von Station zu Station. Auf der letzten der 14 Stationen sind es dann die Geistlichen der verschiedenen Kirchen, die das Kreuz gemeinsam tragen. Das ist ein starker Moment in dieser Prozession.
Ganz aktuell verbindet uns auch die Unterstützung der vielen aus der Ukraine geflüchteten Menschen. Da geht es vor allem darum, ganz praktisch für sie da zu sein: eine Unterkunft finden, Arbeit suchen und bei Behörden unterstützen.