Herr Doktor Schilberg, Sie waren 25 Jahre oberster Jurist und Finanzchef der Lippischen Landeskirche. Ende November sind Sie in den Ruhestand verabschiedet worden, haben dann Ihren Nachfolger aber noch eingearbeitet. Ende Januar ist nun endgültig Schluss. Wie fühlt sich das an – nach einem Vierteljahrhundert Kirchenleitung in Lippe?
Arno Schilberg: Wie eine Vollbremsung, von 100 auf 10. Man hat plötzlich ganz viel Zeit, kann Dinge auch mal liegen lassen und erst morgen erledigen. Es wird eine Weile dauern, bis ich mich daran gewöhnt habe. Das hätte ich so nicht erwartet.
Der Druck und die Aufgaben der vergangenen Jahre waren enorm. Mitgliederschwund, Rückgang der Finanzen, Umbau der Kirche …
Ja, das ist wohl wahr. Als ich 1999 als Kirchenrat in Lippe angefangen habe, hatte die Landeskirche 220 000 Mitglieder. Heute sind es 134 000. Entsprechend weniger Menschen zahlen dann auch Kirchensteuer. Aber alles in allem ging es uns bislang noch relativ gut. Jedenfalls besser als erwartet.
Was dann ja wohl auch an Ihrer Finanzplanung lag.
Die Menschen in Lippe gelten als sparsam. Wir haben in den vergangenen Jahren unseren Haushalt sehr zurückhaltend geplant und konnten die sinkenden Finanzen bislang auffangen, sogar ein bisschen vorsorgen. Aber die nächsten Jahre werden hart. Um mit der Bibel zu sprechen: Die sieben mageren Jahre liegen noch vor uns.
In der Kirche sind, wie in Lippe, oft Juristen für die Finanzen zuständig. Ist das sinnvoll?
In der Tat, von Ausbildung und Leidenschaft her bin ich Jurist, kein Wirtschaftsfachmann. Aber die Lippische Landeskirche ist sehr klein, der Haushalt überschaubar mit 38 Millionen Euro für das vergangene Jahr. Für den landeskirchlichen Bereich im engeren Sinn, also ohne Gemeinden und Pfarrbesoldung, sind es sogar nur zwölf Millionen Euro. Das entspricht einem größeren Handwerksbetrieb. Das bekommt man hin. Größere Einheiten, etwa ein Krankenhaus-Verband, wären eine ganz andere Nummer. Dazu kommt, dass die Kirche bisher mit einem recht übersichtlichen Buchhaltungs-System gerechnet hat, der sogenannten Kameralistik. Das ändert sich jetzt, die Kirche steigt um auf die kaufmännische Buchhaltung, genannt Doppik. Die ist deutlich anspruchsvoller. Mein Nachfolger Martin Bock wird es also schwerer haben.
Sie sagten gerade, Sie seien Jurist aus Leidenschaft. Gesetze, Paragraphen – kann da Leidenschaft aufwallen?
Schon. Ich denke und handle in erster Linie als Jurist. Im Alltag, auch in einer Landeskirche, interessiert das natürlich niemanden. Anders als bei Geld und Zahlen. Aber als Jurist hatte ich durchaus meine Betätigungsfelder, auch im Rahmen der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Also über Lippe hinaus. Sie hatten zum Beispiel den Vorsitz im Rechtsausschuss der UEK, der Union Evangelischer Kirchen. Was haben Sie da gemacht?
Unter anderem die Transformation der UEK in die EKD vorbereitet, die für 2027 angedacht ist. Die Vorlage dazu wurde, nachdem ich sie vorgestellt habe, mit nur einer Gegenstimme angenommen.
Da klingt ein klitzekleines bisschen Stolz mit?
Zumindest war die Sache ein gewisser Erfolg.
Aber auch in Lippe hatte der Jurist vermutlich einiges zu tun.
Natürlich. Allem voran mit den Finanzen. Dann der Umbau von Strukturen, was in der Kirche oft genug Rückbau bedeutet. Die jahrelangen Diskussionen um den Verkauf von Haus Stapelage. Ähnlich beim Haus Vielfalt auf Juist, früher Inselhospiz. Wir haben rund ums Landeskirchenamt in Detmold einen Campus geschaffen, in den der Landeskirchliche Dienst überführt wurde und auch das Beratungszentrum. Da kommen ganz verschiedene Arbeitsabläufe und Kulturen zusammen. Das war und bleibt eine Herausforderung.
Noch mal zur Leidenschaft für Jura. Woher kommt die?
(Überlegt.) Als Gymnasiast war ich Schülersprecher. Wir hatten einen sehr formalen Schulleiter. Der hat mal aus einem Jugendraum ein altes Radio konfiszieren lassen. Das war der Punkt, an dem ich angefangen habe, mich mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu beschäftigen, Stichwort: Eigentumsrecht.
Und? Haben Sie das Radio zurückbekommen?
Ja. Das war erfolgreich.
Wie kamen Sie dann zur Kirche?
In Göttingen habe ich neben Jura auch ein paar Semester Theologie studiert. Das war damals nicht unüblich, Ende der 80er Jahre. Ich komme auch aus der Jugendarbeit einer Kirchengemeinde und habe meinen Zivildienst in einer Kirchengemeinde geleistet. Ich wurde dann angesprochen, habe Kontakt zum Reformierten Bund gefunden, und mitbekommen, dass es so etwas wie Kirchenrecht gibt. Beim Kirchenrechtlichen Institut der EKD in Göttingen habe ich dann als studentische Hilfskraft gearbeitet. Bei meiner Promotion wurde ich vom Evangelischen Studienwerk Villigst unterstützt …
…dem Begabtenförderungswerk der evangelischen Kirchen. Nach dem Studium hätten Sie Richter werden können. Nie bereut?
Nein, das Kirchenrecht hatte mich da schon gepackt. Mich reizte es, etwas gestalten zu können. Als Richter muss man ja vor allem reagieren. In der Kirche habe ich Gestaltungsmöglichkeiten reichlich bekommen.
In all den Jahren wirkten Sie zurückhaltend, besonnen, ruhig. Auch auf Synoden. Wenn Sie dann etwas gesagt haben, war das auf den Punkt genau, manchmal schonungslos offen und ehrlich.
Ich bin so. Es gilt, Ruhe zu bewahren und Dinge zu ermöglichen. Und ich stehe auf dem Standpunkt, dass ich nicht zu allem etwas sagen muss, auch nicht als Kirchenleitungs-Mitglied. Sondern vor allem zu den Dingen, in denen meine Kernkompetenz liegt. Ich mache mir meine Gedanken, muss mich aber nicht nach vorne drängen. Das ist die Aufgabe der Juristen. Ich sage etwas, wenn ich gefragt werde. Dann ist mir wichtig, geradlinig, verständlich und authentisch zu sein. Da bin ich ganz bei mir.
Nicht immer und zu allem gleich etwas sagen müssen, sondern sich mehr auf Kernkompetenzen konzentrieren – sollte das die Kirche insgesamt stärker berücksichtigen?
Wenn Sie darauf eine Antwort wollen, sollten Sie nicht mich, sondern Theologen und Synoden fragen.
Werden Sie etwas vermissen?
Das wird sich zeigen. Jedenfalls merke ich schon jetzt, dass mir der Kontakt zu meinen bisherigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fehlt und die Zusammenarbeit mit ihnen.