Eine junge Frau wird am hellichten Tag beim Radfahren entführt und in ein abgelegenes Gehöft verschleppt, während Familie und Freunde verzweifelt nach ihr suchen. True-Crime-Thriller nach einem realen Fall.
Der Kampf werde “im Kopf entschieden”, nicht im Körper, erklärt Triathletin Nathalie einer Nachwuchssportlerin. Man ahnt: Auf diese Lektion wird die junge Mutter schon sehr bald selbst zurückgreifen müssen. Allerdings nicht im sportlichen Wettkampf, sondern während ihrer eigenen Entführung: Wenig später wird Nathalie beim Radfahren in den Wäldern der Steiermark von einem Auto angefahren, in den Wagen gezerrt und auf ein abgelegenes Gehöft verbracht. Ihr Entführer ist ein linkischer junger Mann, der sich als “Florian” vorstellt.
Was er von ihr will? Davon hat er selbst anscheinend nur eine eher diffuse Vorstellung. Offenbar will er Nähe und so etwas wie Liebe erzwingen, wohl auch Sex. Zwischendurch versucht der zwischen Aggression, körperlicher Gewalt und kindlicher Unsicherheit hin- und herschwankende Mann aber auch mehrmals, sie umzubringen – wogegen sich Nathalie, körperlich wie psychologisch-mental gestählt, wehren kann.
Der Film “Ohne jede Spur – Der Fall Nathalie B.”, den die ARD am Donnerstag, 29. Mai, von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, erzählt vom echten Fall der Nathalie Birli: Die österreichische Sportlerin wurde im Juli 2019 entführt und für insgesamt sieben Stunden festgehalten.
Da der Fall weitgehend bekannt ist, darf “gespoilert” werden (sonst bitte hier mit dem Lesen aufhören). Zwar wird im Abspann auf gewisse künstlerische Freiheiten verwiesen, das Entführungsopfer aber bei seinem echten Vor- und Nachnamen genannt.
Auch bei den Details der Tat hält sich der Film recht eng an das von Birli schon mehrfach medial geschilderte – und durch die polizeilichen Ermittlungen bestätigte – Geschehen. Luise von Finckh als Nathalie und Dominic Marcus Singer als Entführer machen ihre Sache sehr gut: In den beängstigenden und beklemmenden Szenen im Haus des Entführers ist der Film dramaturgisch und atmosphärisch am stärksten. Das liegt einerseits in der Natur der Sache; im Kampf zwischen Entführer und Entführten liegt natürlich, selbst wenn man um dessen Ausgang weiß, ein enormes Spannungspotenzial. Hier ist der Film aber auch besonders sorgfältig gestaltet, in Sachen Szenenbild, Farbgebung, Kamera sowie Figurenzeichnung.
Die Protagonisten “draußen”, wo Nathalies Lebensgefährte eine private Suchtruppe organisiert hat, da die Polizei erst 48 Stunden nach Verschwinden tätig werden “darf”, bleiben teils etwas blass. Gerade Martin (Stefan Gorski) und sein Vater (Benjamin Sadler) hätten ein paar mehr Striche durchaus vertragen. Aglaia Szyszkowitz spielt mit Martins Mutter zwar auch nur eine kleine Rolle, schafft es aber dennoch scheinbar mühelos, diese mit Leben – beziehungsweise Verzweiflung – zu füllen.
Letztlich jedoch krankt der von Regisseurin Esther Rauch spannend und erfreulicherweise auch recht “un-reißerisch” gestaltete Film etwas an seinem zwar höchst erfolgreichen, zugleich aber auch durchaus fragwürdigen Genre: True Crime. So ist der Produktion gegen Ende hin das Bemühen anzumerken, mehr sein zu wollen als eine reine, der gruslig-wohligen Unterhaltung dienende Nacherzählung eines realen Kriminalfalles.