Mit emotionalen Themen hat sich das Kirchenparlament auf seiner Herbsttagung beschäftigt, die am Samstagnachmittag zu Ende gegangen ist. So hat ein Projektteam am Freitag die Ergebnisse der sogenannten „Auf!-Studie“ zur Aufarbeitung und Prävention sexualisierter Gewalt innerhalb der Landeskirche vorgestellt. 54 Betroffene hätten sich daran beteiligt, sagte der Historiker Harald Haury. Die Mehrzahl der Fälle habe sich in den 1950er Jahren ereignet, einige in den 1960ern und der letzte Fall 1974.
Die Studie habe gezeigt, dass kein kirchliches Milieu gegen das Vorkommen sexualisierter Gewalt gefeit sei, „auch nicht besonders fromme Gruppen“. Haury: „Schlichtweg gottgegeben, biblisch oder zeitlos sind weder Botschaften sexueller Befreiung, noch pietistische Keuschheitslehren.“ Die Psychologin Simone Korger empfahl der Landeskirche, kirchliche Einrichtungen bei der Erstellung und Verbesserung von Schutzkonzepten gegen sexualisierte Gewalt zu unterstützen.
Ursula Kress, Beauftragte für Chancengleichheit im württembergischen Oberkirchenrat sagte, bislang hätten knapp 90 Prozent der Kirchenbezirke eine Arbeitsgruppe, die das Schutzkonzept gegen sexuellen Missbrauch in Teilen schon erarbeitet hat. Problematisch sei die Ausstattung der Fachstelle zum Umgang mit sexualisierter Gewalt. Gegenwärtig umfasse sie 1,35 Stellen. Das genüge nicht, um die Vielfalt der Themen und Aufgaben zu bewältigen. Es brauche Mittel, um die Fachstelle aufzustocken, so Kress.
In einer Aktuellen Stunde am Donnerstag beschäftigte sich das Kirchenparlament mit der Bekämpfung von Antisemitismus. Er ist nach Ansicht von Mitgliedern der württembergischen evangelischen Landessynode auch in der Kirche verankert. Deshalb müsse der Einsatz gegen Judenfeindlichkeit in den eigenen Reihen beginnen, forderten mehrere Synodale. Scharfe Kritik wurde am Versuch laut, die Terrorgräuel der Hamas vom 7. Oktober auf jüdische Zivilisten mit der israelischen Siedlungspolitik zu rechtfertigen.
Vor der Aktuellen Stunde hatte die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW), Barbara Traub, vor der Synode um Verständnis und Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland und den Menschen in Israel geworben. Was sich am 7. Oktober ereignete, sei seit der Shoah das größte Pogrom gegen Jüdinnen und Juden gewesen. Die IRGW habe viel Solidarität von Kirchen und der Politik nach dem 7. Oktober erfahren, berichtete Traub.
Michael Blume, Beauftragter der Landesregierung gegen Antisemitismus, wünscht sich Baden-Württemberg als Vorreiter beim gemeinsamen Religionsunterricht für Christen und Juden. Der konfessionsverbindende Religionsunterricht von Protestanten und Katholiken sei ein Erfolg, sagte Blume in einem Grußwort. Wo er angeboten werde, sei die Nachfrage hoch. Württemberg solle nun Vorreiter beim nächsten Schritt sein, die Kirchen sollten auch mit jüdischen Menschen Gespräche über einen gemeinsamen Religionsunterricht aufnehmen.
Als humanitäre und kulturelle Katastrophe hat die Leiterin des Referats Mission, Ökumene und Entwicklung der württembergischen Landeskirche, Christine Keim, die Flucht der rund 100.000 Karabach-Armenier vor wenigen Wochen bezeichnet. „Die Menschen gaben nicht nur ihre Häuser auf, sondern auch viele Kirchen, Klöster und Friedhöfe, die Teil der Geschichte des armenischen Volkes sind“, sagte die Kirchenrätin in ihrem Bericht zur Situation verfolgter Christen. Die Befürchtung sei groß, dass das kulturelle und religiöse Erbe der Armenier in Bergkarabach jetzt für immer verloren sei.
Der Finanzdezernent der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Oberkirchenrat Jörg Antoine, hält seine Kirche für überschuldet. Hauptgrund sind fehlende Gelder für die Pensionen und Beihilfen verbeamteter Mitarbeiter, sagte er am Freitag vor der Landessynode. Der Finanzchef bezifferte die Finanzierungslücke auf mindestens 740 Millionen Euro.
Der Direktor des Oberkirchenrates der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, Stefan Werner, kündigte an, dass das Ziel der Kirche sei, bis 2027 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Erforderlich sei auch, dass der Gebäudebestand der Landeskirche und der Kirchengemeinden weiter reduziert werde, da er zu groß und nicht mehr finanzierbar sei, sagte er. Wichtig werde sein, dass in der Erfüllung des kirchlichen Auftrages darauf geachtet werde, dass die „Hoffnungsgemeinschaft Kirche“ spürbar und erlebbar werde. Kirche sei reformierbar und es sei die Aufgabe der Kirchenleitung, diesen Prozess des Wandels als „Hoffnungsgemeinschaft mit Zuversicht“ zu begleiten, sagte der Oberkirchenrat.
Auch Edgar Wunder, wissenschaftlicher Referent des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD, sagte bei der Aussprache auf die Vorstellung der sechsten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), dass Christinnen und Christen von der Hoffnung getragen seien. Diese Haltung brauche es auch im Umgang mit den Daten aus der Untersuchung. „Als Kirche haben wir gewisse Handlungsmöglichkeiten“. Man können zwar die gesellschaftlichen Trends nicht vollkommen umkehren, aber man könne als Kirche den Wandel gestalten, betonte er.
Die Landessynode ist das Kirchenparlament für rund 1,8 Millionen Protestanten in Württemberg.(2901/02.12.2023)