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Altbundespräsident Gauck löst Debatte über Antisemitismus aus

Hass auf Juden kann viele Formen annehmen. Das ist bekannt. Aber gibt es beim Kampf gegen Antisemitismus blinde Flecken in Deutschland? Darüber ist eine Diskussion entbrannt.

Mit seinen Äußerungen zu Antisemitismus von links und aus dem arabischen Raum hat Altbundespräsident Joachim Gauck eine Debatte ausgelöst. Während am Wochenende die Linkspartei Kritik übte, erhielt Gauck Zustimmung vom Zentralrat der Juden in Deutschland und von Israels Botschafter Ron Prosor. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner und Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) betonten, es gelte, entschlossen gegen jede Form von Antisemitismus vorzugehen.

In einem am Samstag veröffentlichten Interview des “Tagesspiegel” hatte Gauck zu Wachsamkeit gemahnt. “Wir haben seit Jahrzehnten eingeübte Abwehrreflexe gegenüber Rechts – das ist gut. Was lange vernachlässigt wurde, ist die Beschäftigung mit Antisemitismus, etwa aus dem arabischen Raum, wo es völlig normal sein kann, mit antisemitischen Vorstellungen aufzuwachsen”, so das ehemalige deutsche Staatsoberhaupt. “Manche haben auch Probleme, über linken Antisemitismus in Deutschland zu sprechen. Egal, wo Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit herrühren: Wir brauchen mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde.”

Der Vorsitzende der Linkspartei, Jan van Aken, nannte es im “Tagesspiegel” unerträglich, dass die Zahl antisemitischer Gewalttaten auf einem hohen Stand bliebe. Er könne allerdings nicht erkennen, dass über linken Antisemitismus oder Hass aus dem arabischen Raum weniger gesprochen werde. Hass gegen Juden sei in Deutschland vor allem “ein Phänomen der Mehrheitsgesellschaft”, so van Aken. “Insofern steht es allen, sowohl uns, als auch ehemaligen Bundespräsidenten, gut zu Gesicht, den Antisemitismus nicht anderen zuzuschieben, sondern im eigenen Umfeld und im eigenen Dorf kritisch und wachsam zu sein.”

Zentralratspräsident Josef Schuster dagegen teilte die Ansicht von Gauck. Seit dem Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 habe islamistisch motivierter Antisemitismus explosionsartig zugenommen, sagte Schuster dem “Tagesspiegel”. “Dieser Antisemitismus bildet eine unheilvolle Allianz mit linkem Antisemitismus, der sich ins Gewand des sogenannten Antizionismus kleidet.”

Israel Botschafter Ron Prosor warnte in einem Interview der Zeitungen der Funke-Mediengruppe vor allem vor dem Antisemitismus von links. In Europa zeige sich das Phänomen vor allem an Hochschulen und Theatern. “Man gibt sich gebildet, moralisch und politisch korrekt”, so Prosor. “Aber die rote Linie dessen, was von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, ist längst überschritten. Tag für Tag wird Israel dämonisiert und delegitimiert, die Folgen sind für alle Juden spürbar.”

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner forderte im “Tagesspiegel” ein entschlossenes Eintreten gegen jede Form von Antisemitismus, egal woher er komme. “Nie darf aber der Absender darüber entscheiden, wie wir darauf reagieren – es darf hier keine Zurückhaltung, keinen kulturellen Rabatt und erst recht keine Relativierung oder gar Verständnis geben.” Ähnlich äußerte sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt. “Wer antisemitische Hetze verbreitet, ob hier geboren oder zugewandert, stellt sich klar außerhalb unserer Gemeinschaft.”

Am Sonntag wurde vielerorts an die Novemberpogrome von 1938 erinnert. Dabei handelte es sich um eine organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen von Jüdinnen und Juden im gesamten damaligen Deutschen Reich.