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Als der Henker ehrlich wurde

Sein Leben wurde mehrmals verfilmt. Scharfrichter Franz Schmidt ist bis heute einer der berühmtesten Nürnberger. Der 1634 verstorbene Henker hat seine Arbeit in einer Art Tagebuch dokumentiert, das einzigartige Blicke in die mittelalterliche Rechtsgeschichte gewährleistet. Seine einstige Wohnung über der Pegnitz, heute als Nürnberger Henkersteg bekannt, ist ein Museum. „Das Henkerhaus dient unserem Verein einerseits als zentrale Anlaufstelle, andererseits ist es ein authentischer Ort, um Geschichte zu erzählen“, sagt Historiker Daniel Gürtler vom Nürnberger Verein „Geschichte für alle“, der sich intensiv mit Schmidts Biografie befasst hat.

Die Bilanz seiner Berufsjahre 1573 bis 1618 ist blutig und schockt noch heute. 45 Jahre lang köpfte, strangulierte oder verstümmelte Franz Schmidt Frauen und Männer auf Geheiß seines Arbeitgebers, des Nürnberger Rats. Zwar war er städtischer Angestellter, verfügte über eine Dienstwohnung und erhielt zum Gehalt sogar im Winter noch Feuerholz – aber Scharfrichter war ein „unehrlicher Beruf“. Schmidt war gesellschaftlich verachtet.

Akribisch notierte er die Namen und Taten von Mördern, Dieben und Betrügern, deren Strafen andere ausgesprochen hatten und die er vollstreckte. Manche Tagebucheinträge lesen sich wie Rechtfertigungen vor sich selbst. Von Christina Zickhin, die Schmidt am 14. August 1582 geköpft und ihr Haupt für jedermann sichtbar in der Stadt aufgehängt hat, liest man, die Frau habe ihrem Neugeborenen „das Gnickhlein eingedruckht“. Schmidt notiert aber auch, dass die Mörderin eine Magd war, die ihr Kind in des Bauern Haus geboren hatte. Er deutet damit an, dass der Bauer der Kindsvater war und die Frau ihre Tat aus Verzweiflung begangen hatte.

Drakonische Härte erfuhr Hannß Beüttler von Maylach, über den Schmidt am 25. Juni 1590 notierte, ihn mit dem Strang hingerichtet zu haben. Zuvor soll der Mann in Kirchen eingebrochen sein und sie geplündert haben. Nicht der einzige solche Fall. „Verstörend wirken für uns heute die zahlreichen Verbrechen im Bereich von Religion und Sittlichkeit“, notiert auch der 2022 gestorbene ehemalige Nürnberger Stadtrechtsdirektor Hartmut Frommer in seinem Essay über Franz Schmidt, das im Tagebuch des Nürnberger Henkers zu finden ist. Dieses wurde vom Verein „Geschichte für alle“ verlegt.

Auf Schmidts Einfluss gehen aber auch Anpassungen im Strafrecht zurück, folgert Historiker Daniel Gürtler aus den Tagebüchern. Beispielsweise fällt in seine Zeit die Abschaffung des Ertränkens von Kindsmörderinnen: Stattdessen wurden die Frauen enthauptet. „Und Schmidt gab den Delinquentinnen noch Tipps, wie sie ihren Kopf halten müssen, damit dies so kurz und schmerzlos wie möglich ginge“, meint Gürtler.

Auch Buchautor Frommer blickte auf die menschlichen Seiten Schmidts, der den Henkersposten im Alter von 18 Jahren von seinem Vater übernommen hatte und eine erstaunliche Entwicklung durchmachte. So heiratete er Ende 1579 trotz des herrschenden Standesdenkens die zehn Jahre ältere, aus einer „ehrlichen“ Familie stammende Maria Peck. Mit ihr hatte Schmidt sieben Kinder, die alle in der Sebalduskirche getauft wurden.

Glaubensleben war keine reine Formsache für den Scharfrichter, als Protestant hatte er wohl das Lutherwort zum Strafvollzug verinnerlicht: „Die Hand, die solch Schwert führt und würgt, ist nicht mehr Menschenhand, sondern Gottes Hand, und nicht der Mensch, sondern Gott hängt, rädert, enthauptet“, schreibt Frommer.

Franz Schmidt kämpfte dafür, den Status des Unehrenhaften abzuschütteln und das Nürnberger Bürgerrecht zu erhalten. Am 14. Juli 1593 war es so weit, der Rat der Stadt verlieh es ihm, tief beeindruckt, dass Schmidt dies vor allem seinen Kindern zuliebe anstrebte und gelobte, im Ruhestand ein „normaler Bürger“ zu sein. Tatsächlich griff man in Nürnberg auch auf Schmidts Kenntnisse der menschlichen Anatomie zurück, wenn es um die Gesundheitsfürsorge ging. Das Henkerhaus wurde bald zu einer Art Privatpraxis, an deren „Doktor“ sich die Nürnberger wandten.

Am 12. September 1624 erhielt Franz Schmidt ein Schreiben, das von Kaiser Ferdinand II. unterzeichnet war: Die „Ehrlichsprechung“ der gesamten Familie, um die Schmidt lange gebeten hatte, auch nachdem er das Nürnberger Bürgerrecht erhalten hatte. „Eine Ehrlichsprechung durch den Kaiser ist einfach noch einmal mehr wert. Er ist ja vom Papst, also dem Stellvertreter Gottes auf Erden ins Amt berufen worden“, erklärt Daniel Gürtler.

Walter Bauernfeind, im städtischen Archiv Nürnberg für amtliches Archivgut zuständig, sieht das Streben Schmidts nüchterner: „Im Prinzip ist es eine ganz pragmatische Überlegung zu sagen, ich möchte sozial aufsteigen, ich möchte meinen Kindern ermöglichen, herauszukommen aus dieser Nische, in die sie sozial gedrückt sind“, meint der Historiker. Es sei eben immer besser, „ehrlich“ zu sein.

Franz Schmidt verließ die Henkerswohnung, bezog ein neues Domizil und wurde nach seinem Tod 1634 im neuen Familiengrab auf dem Nürnberger Rochusfriedhof beerdigt. Von der Familie von Franz Schmidt verliert sich danach jede weitere Spur. (00/3973/16.12.2024)