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Den Alltag abgeben – Pilgern im Norden

Pilgern kann man nicht nur auf dem Jakobsweg, sondern auch im Norden. Der Greifen-Weg in MV ist ziemlich neu. Wolfgang Drews bietet hier Pilgerbegleitung mit Ruhe und christlichen Ritualen.

Annett Drews

„Wir sind quasi Ersttäter. Der Greifen-Weg ist im Entstehen“, sagt Wolfgang Drews, den ich an einem ziemlich warmen Sommersamstag in Bodstedt (Mecklenurg-Vorpommern) treffe. Zehn bis zwölf Menschen erkunden und begehen regelmäßig diesen Pilgerweg in Mecklenburg-Vorpommern von Bodstedt nach Barth über Kenz und Starkow nach Richtenberg. Sie wollen Menschen wieder für das Pilgern begeistern. „Und auch den Glauben näherbringen. Vielleicht ist es ja eine Möglichkeit, dass es wieder gelingt, diesen mehr zu leben in unserer Gesellschaft“, meint Drews.

Relativ neu ist der Weg, aber auf alten Wurzeln stehend: Die St.-Ewald-Kirche in Bodstedt ist als Wallfahrtsort zwischen 1474 und 1508 historisch bezeugt. „Im Januar 1457 gab es eine große Sturmflut, ein Fischer war mit seinen 23 Mann draußen auf dem Bodden. Alle haben es überlebt. Zum Dank ließ er eine kleine Kapelle erbauen“, erzählt der Pilgerbegleiter. Kenz war mit seiner um 1398 errichteten Marienkirche an einer Heilquelle im 15. Jahrhundert sogar der meistbesuchte Wallfahrtsort in Pommern. Der Weg bildet eine Querverbindung zwischen dem Pilgerweg der heiligen Birgitta von Schweden und der Via Baltica bei Tribsees.

Aufnahme in die Gemeinschaft des Greifen-Weges

Heute wollen wir zu viert von Bodstedt nach Barth pilgern: Wolfgang Drews, seine Frau Annett, die Urlauberin Marion und ich. Zuvor gibt uns Wolfgang Drews einen Stein, ein kleines Heft und eine gelbe Schachtel: die Grundausstattung zum Pilgern. Der Inhalt: eine Kerze, eine Muschel, ein Segenswunsch und ein Anhänger: „Damit bist du jetzt offiziell in die Gemeinschaft des Greifen-Weges aufgenommen.“ Nachdem wir in der Kirche eine Kerze entzündet haben, gehen wir am Bodstedter Bodden vorbei Richtung Wald. Acht Kilometer liegen vor uns.

Wolfgang Drews gibt Marion und mir einen weiteren Stein: „Auf dem Camino gibt es ein Kreuz, an dem Steine abgelegt werden. Damit lässt man alle Sorgen zurück. Das machen wir auch.“ Bis zum Waldrand tragen wir ihn in der Hand und bringen alles vor Gott. Am Wald angekommen legen wir den Stein mit einem kurzen Gebet ab, symbolisch unsere Ängste.

auf einem Steintisch liegen eine Muschel, ein Stein, ein Anhänger mit bunten Perlen und der Aufschrift Greifen-Weg. Daneben eine Papierbox mit Blättern und einem Stift.

Gehen mit bewusster Aufmerksamkeit

Wir gehen meist schweigend, nehmen den Wind wahr, die Sonne, das Rufen des Eichelhähers. Auf einer Lichtung im hohen Gras machen wir Pause. Wolfgang Drews liest eine Meditation. Wir öffnen die Hände, die Ohren, das Herz. Das bewegt mich. Einfach im Hier und Jetzt sein. Den Alltag hatte ich am Anfang abgegeben. Mit bewusster Aufmerksamkeit gehe ich weiter.

An der Wundereiche im Barther Stadtforst haben wir die Hälfte des Weges geschafft. Solche Bäume sollten bei Rheuma, Gicht oder Lähmungen heilen, indem die Erkrankten durch ein Loch hindurch- kletterten. Bei dem Barther Baum verwuchs der Hauptstamm mit einem Ast. „Der Eiche geht es gar nicht gut“, sagt Annett Drews.

Drei Menschen stehen auf einer Lichtung im Wald. Zwei Frauen und ein Mann mit Hut und Stab.

Gesegnet in den Alltag zurück

Weiter geht es auf einer Straße. Marion und ich merken die Härte des Bodens. Es folgt ein kleiner Waldabschnitt. Wir suchen uns jeder ein großes Blatt. „Ich nenne es gerne ‚spirituelles Wandern‘, wenn wir in einer Gruppe gehen“, sagt Wolfgang Drews. Er empfiehlt diese Art des Pilgerns auf dem Greifen-Weg oder das „Kleeblattpilgern“, also das Gehen einzelner Etappen von einem zentralen Ort wie Barth aus.

An der Fußgängerbrücke kurz vor Barth endet unser Pilgerweg. Annett Drews hat ein Ritual: „Jetzt schreiben wir auf das Blatt CMB. Das heißt ja auch ‚Gott segne dieses Haus‘. Wenn wir uns als Haus sehen, kann man so den Segen erbeten.“ Gemeinsam werfen wir die Blätter in die Barthe. Gesegnet geht es in unseren Alltag zurück.