Jedes Jahr an Heiligabend sitzt Wolfram Sauer an der Orgel. Dabei spielt er nicht in irgendeiner Kirche, sondern die Orgel in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Mannheim – und das schon seit 1977. „Ich gehöre zum Inventar im Gefängnis“, sagt der Musik- und Mathelehrer dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Ein glücklicher Zufall wollte es, dass Sauer – damals noch Orgelschüler – seinen Lehrer vertreten sollte, der an dem Tag ein anderes Engagement hatte. Den Vorschlag, in der JVA einzusteigen, habe der Lehrer mit den Worten begründet: „Das ist ideal, da bleiben alle falschen Töne hinter Gittern“, erinnert sich Sauer.
Sie sind es bis heute geblieben. Sauer spielt seither ohne Unterbrechung jedes Jahr am 24. Dezember in der JVA Mannheim. 2023 wird es das 47. Mal sein. Wie „draußen“ seien auch im Gefängnis die Gottesdienste an Heiligabend die bestbesuchten Gottesdienste des Jahres.
Längst ist der Organist vertraut mit den besonderen Umständen der Gefängnis-Gottesdienste. Tatsächlich sei er immer wieder fasziniert, „wie die Orgel es schafft, die Menschen zu beruhigen“.
„Das ist schon eine akustische Seelsorge, die ich da betreibe“, beschreibt der Musiker die Wirkung der 70 Jahre alten Walker-Orgel. Sie hat zwei Manuale und knapp 20 Register. „Es ist selten, dass hinter Gittern so ein Instrument existiert“, betont er.
Eine Rarität ist auch der Kirchenraum. Er wurde im Jahr 1910 großzügig und hell erbaut. Der Innenraum wurde vor einigen Jahren saniert. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Gefängnisneubau je wieder so einen großen Kirchenraum bekommt“, sagt Sauer.
Über so viele Jahre entsteht eine Verbundenheit. Einige Gesichter in den Kirchenbänken an Heiligabend kennt Sauer bereits, einige der Gefangenen kennen ihn. Er berichtet von berührenden Rückmeldungen: Menschen mit Tränen in den Augen, die sich bedankten und Schuld erkannten.
Andere wollten einfach einmal herauskommen aus ihrer vergitterten Zelle. Und, „ja, man trifft sich“, weiß der Organist. Zu den insgesamt vier Gottesdiensten am 24. Dezember kämen nicht nur Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, sondern auch unterschiedlicher Konfessionen. Der Katholik spricht von einem „multikulturellen“ Gottesdienst.