Das Verwaltungsgericht Göttingen hat die Freiheitsentziehung durch Umzäunung und polizeiliche Überwachung eines Wohnblocks während der Corona-Pandemie nach Angaben des Rechtsanwalts Sven Adam für rechtswidrig erklärt. Für die mehrere Tage andauernde, von der Stadt Göttingen angeordnete Umfriedung gäbe es keine Rechtsgrundlage, habe das Gericht am Donnerstag in der mündlichen Verhandlung erklärt. Auch sei der sogenannte Richtervorbehalt, also die richterliche Bestätigung der Maßnahme, nicht eingehalten worden (Az.: 4 A 212/20 ).
In dem Wohnkomplex, der als sozialer Brennpunkt gilt, war im Juni 2020 Corona ausgebrochen, rund 120 der 700 Bewohner waren mit dem Virus infiziert. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, stellte die Stadt den Komplex für zunächst eine Woche unter Quarantäne. Vom 18. bis 25. Juni 2020 blieben die Bewohner eingesperrt. Die Eingänge zum Grundstücke wurden von Polizeibeamten abgesperrt und mit Toren verschlossen. Lieferwagen brachten Lebensmittel und Hygieneartikel, das Rote Kreuz und die Johanniter betrieben vor Ort auch eine mobile Sanitätsstation.
Adam vertritt in dem Verfahren eine Familie, die gegen die Maßnahme der Stadt Göttingen geklagt hatte. Das seinerzeit 38 und 31 Jahres alte Ehepaar mit seinen neun und drei Jahre jungen Kindern hatte dabei nicht die Quarantäneanordnung der Stadt an sich beklagt. Die Klage richtete sich vielmehr gegen die von der Polizei in Amtshilfe für die Stadt vorgenommene Umzäunung des Komplexes und die damit einhergehende Freiheitsentziehung.
Für eine derartige Maßnahme sehe das in Anspruch genommene Infektionsschutzgesetz keine Rechtsgrundlage vor, sagte Adam. Lediglich für „Quarantänebrecher“ sei eine zwangsweise Unterbringung in einem Krankenhaus oder in einer anderen geeigneten geschlossenen Einrichtung vorgesehen. Dies setze aber einen vorherigen richterlichen Beschluss voraus.
„Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Göttingen setzt Grenzen im Sinne des Grundrechtsschutzes und hat weitreichende und grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsentwicklung und den zukünftigen Umgang mit Gebäudekomplexen in Pandemielagen“, betonte Adam. „Die Stadt Göttingen hat wesentliche verfahrensrechtliche Anforderungen nicht erfüllt und damit erheblich und rechtswidrig in die Grundrechte der betroffenen und ohnehin sozial marginalisierten Bewohner des Gebäudekomplexes eingegriffen.“