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Heilige Unzufriedenheit

Sie hält die Predigt beim Kirchentagsabschlussgottesdienst in Dortmund: Sandra Bils

„Morgens wusste ich nicht, wo ich abends schlafe und wo ich Wasser herkriege.“ Eine bemerkenswerte Art der Predigtvorbereitung: Im April packte Pastorin Sandra Bils ihren Rucksack, schnallte Zelt und Iso-Matte drunter und tauchte im abgeschiedenen Teil des Elbsandsteingebirges unter. „Während der Tage sind große Teile der Predigt in meinem Kopf und Herzen entstanden.“

Um die 70 000 Menschen werden beim Abschlussgottesdienst des diesjährigen Kirchentags auf sie schauen. „Vor der Situation habe ich schon Respekt“, sagt die 41-Jährige, „und auch ein bisschen Schiss“. Zu den Stadiongästen kommen ja noch rund 100 000 Fernsehzuschauer hinzu. 

Sandra Bils stammt aus einem ostfriesischen Dorf, wo es „mehr Kühe als Menschen gibt“. Bei ihrer Konfirmation, gibt sie zu, hatte sie die Geldgeschenke im Sinn. Doch der „unglaublich tolle“ Pastor faszinierte sie, „er provozierte mich richtig: ‚Wenn du so viele Ideen hast, wie etwas besser gehen kann, dann mach doch einfach!‘“ Bei den Pfadfindern fand sie eine überzeugende Gemeinschaft. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen bereitete sie Jugendgottesdienste vor. 

Und je mehr sie sich mit der Kirche auseinandersetzte, desto mehr merkte sie: „Das ist absolut großartig, die Message ist der Wahnsinn, warum ist das Marketing so schlecht?“
„Sehnsucht und Unzufriedenheit“ trieben sie zum Theologiestudium. Es folgte das Vikariat, dann ein Sondervikariat beim Kirchentag. Erste Pastorinnenstelle in Gifhorn. Berufsbegleitend eine Promotion, Kirchenerneuerungsprojekte in Südafrika, Korea und England. 

Die Hannoversche Landeskirche war schon lange aufmerksam geworden auf die junge Pastorin. Da gab es „kirchehoch2“, eine ökumenische Arbeitsstelle, die jene begleitet, die in den Kirchen neue Wege gehen wollen. Sandra Bils arbeitet dort seit 2013, zusammen mit einer katholischen Kollegin.

 Ihr Büro liegt im quirligen Alternativszeneviertel Hannover-Linden. Vor dem Fenster fahren Müllwagen und Straßenbahnen. Döner-Duft. Vor der Sparkasse hoffen Obdachlose auf ein paar Cent. Das ungewöhnliche Kirchenbüro ist spartanisch eingerichtet. Hier wird die Zukunft der Kirche erdacht – und gemacht. 

Sandra Bils und ihr Team beraten und unterstützen Einzelne und Kirchengemeinden, die die Botschaft der Kirche auf neuen Wegen in die Öffentlichkeit bringen wollen: mit dem Bauwagen bei Rockkonzerten; durch deutliche Präsenz bei Anti-Nazi-Demos; durch ein offenes Kirchencafé. „Wir könnten so viel mehr reißen als Kirche, wir könnten so viel attraktiver und relevanter sein für das Leben von Menschen, wenn wir nur ein paar Stellschrauben drehen würden“, meint Sandra Bils. Ihr Antrieb und ihre Kraftquelle sei die „heilige Unzufriedenheit – und gleichzeitig ein Gefühl von dem Gott, der mitgeht“.
Sandra Bils ist bestens vernetzt im Netzwerk der Kirchenveränderungswilligen: fresh X. „Es würde unserer Kirche guttun, wenn wir mehr experimentieren und weniger Angst vorm Scheitern hätten. Wenn wir mehr Lust bekämen, uns gegenseitig ehrlich und neugierig auszutauschen: ‚Wo begegnest du eigentlich Gott im Alltag?‘“

Auch gute Predigten sind da wichtig. Eine gute Predigt müsse so eine „Mischung aus Trost und Arschtritt“ sein, meint sie mit einem Augenzwinkern.
Man darf also gespannt sein auf Sonntag.