Nichts ist so alt wie die Zukunft von gestern. Was früher Hightech war, ist heute Trödel, vielleicht mit Nostalgie-Faktor. Bei einer Zeitreise in die Welt der verschwundenen Dinge ist die Musikkassette sicher ein prominentes Objekt.
Vor 60 Jahren, am 28. August 1963, stellte der Elektronikkonzern Philips auf der Funkausstellung in Berlin die erste Compaktkassette mit Kassettenrekorder vor. In den darauffolgenden 40 Jahren eroberten sie den Alltag der Babyboomer und ihrer Kinder.
300 Mark für die ersten Kassettenrekorder
Ohne Eltern-Aufsicht endlich die Musik aufnehmen, die dem eigenen Geschmack entsprach. Rockpalast-Abende, die man – bewaffnet mit Leerkassetten – vor dem Radio verbrachte. Man konnte den Ton von beliebten Fernsehsendungen mitschneiden. Oder selbst Hörspiele produzieren. Sage und schreibe 300 Mark kosteten die ersten Kassettenrekorder. Ein kleines Vermögen. Die Tonband-Kassette gab es in der Länge von 60, 90 und 120 Minuten.
Schellack-Platten, Vinyl-Schallplatten und Magnet-Tonband: Die Technik der Musik-Speicherung entwickelte sich immer schneller. 1935 hatte die AEG das weltweit erste Tonbandgerät in Berlin vorgestellt. Anfang der 60er gab es dann das Tonband im Miniatur-Format.
Der Niederländer Lou Ottens vom Philips-Werk im belgischen Hasselt gilt als Erfinder der Kassette. Das neue Produkt sollte klein, tragbar, robust und auch preisgünstig sein. Er entwickelte ein schmales Magnetband, das auf Spulen aufgewickelt war und in ein kleines Plastikgehäuse von 10,16 cm x 6,35 cm x 1,27 cm. passte. Auf beiden Seite des Plastikgehäuses war ein Fenster, damit man sehen konnte, wie viel Band noch zur Verfügung stand. War eine Seite abgehört, konnte man das Ding umdrehen und hatte nochmals die gleiche Länge zur Verfügung.
Durchbruch der Musikkassette in den 1970ern
1965 kam die Kassette als Mono- und 1967 als Stereo-Version in den Handel. Der Durchbruch gelang der Musikkassette vollends in den 1970ern; bis weit in die 1990er-Jahre war sie weit verbreitet. Praktisch jede Musikanlage verfügte damals über ein oder sogar zwei Kassettendecks. In den 1980ern hielt die Musikkassette im Autoradio Einzug. 1979 kam der erste “Walkman” auf den Markt; die Kassette lernte fahren und laufen.

Selbst eine hohe politische Bedeutung erlangte die so demokratisch wirkende Technik: Ayatollah Khomeini nutzte sie in den 70er Jahren, um seinen mittelalterlichen Gottesstaat zu propagieren. Von Paris aus wiegelte er im Iran die Massen auf – mit Kassetten.
Dabei hatte die Plastikbox ihre Tücken: Man musste höllisch aufpassen, dass man rechtzeitig den Aufnahme – und Playknopf drückte. Ärgerlich war es, wenn der Radiomoderator ins Lied quatschte oder es nicht ausspielte. Auch Außengeräusche störten die Aufnahme mit Mikrophon: die Wasserspülung der Toilette nebenan, das Gebell des Haushundes oder wenn jemand ins Zimmer kam und fragte, ob man denn seine Hausaufgaben erledigt hatte. Auch technisch gab es Grenzen: An den berühmten Bandsalat oder den klemmenden Kassettenauswurf erinnert sich wohl jeder Nutzer. Auch ließ die Klangqualität mit der Zeit durch Abnutzung und Staub nach.
Erst CD, dann MP3
Anfang der 2000er Jahre war die Zeit der Kassette vorbei. Musikhörer wechselten zur CD und zur MP3. 2009 wurden in Deutschland noch drei Millionen Kassetten verkauft. 1991 waren es 78 Millionen. Doch ein Gang über die Flohmärkte der Republik und ein Besuch in manchen Kellern zeigt, dass sich eine bunte Kassetten-Auswahl – von “Die drei ???” über “Benjamin Blümchen” bis “Bibi Blocksberg” und den Bee Gees – erhalten hat. Und so mancher Erwachsene aus der Generation “Kassettenkinder” muss leicht verschämt einräumen, dass sich die Klassiker aus Kindheit und Jugend weiter drehen. Trennung unmöglich.