Am 17. Juli 2014 wurde bei einem ukrainischen Dorf das Flugzeug MH 17 abgeschossen. Ein erschütternder Antikriegsfilm beleuchtet das Schicksal der Dorfbewohner.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
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Die ukrainische Filmemacherin Maryna Er Gorbach drehte diesen ungewöhnlichen (Kriegs-)Film noch vor der russischen Invasion der Ukraine am 24. Februar 2022 und erinnert damit daran, dass im Osten des Landes, lange weitgehend ignoriert von der Weltöffentlichkeit, schon im Jahr 2014 der Krieg begann.
Im Mittelpunkt stehen hier nicht Soldaten, sondern eine hochschwangere Frau, die sich weigert, ihr Haus an der umkämpften ukrainisch-russischen Grenze zu verlassen, obwohl in ihrem Wohnzimmer anstelle der Wand ein riesiges Loch klafft.
Wie auf einer Bühne spielt sich das Kriegsgeschehen vor ihren Augen ab, dessen fortschreitende Verrohung ihre eigene Familie zerreißt. Bis eine russische Rakete am 17. Juli 2014 das Passagierflugzeug MH17 trifft, das nahe dem Dorf zerschellt.
Mit pathosfreiem Gleichmut und entdramatisierten Tableaus beobachtet der Film die sich steigernde Absurdität des Zerstörens, Töten und Sterbens, vor dem auch der innerfamiliäre Kosmos nicht Halt macht.
Ein erschütterndes Sinnbild der Destruktion, das im Januar 2022 bei seiner Weltpremiere in Sundance mit dem Preis für die beste Regie und wenig später bei der “Berlinale” mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde.
Es ist nicht leicht, über diesen Film zu schreiben. Und es fällt auch nicht leicht, ihn anzusehen. Schon allein deshalb, weil die übliche Trennfähigkeit – in Kunst da, Leben hier, in Kino und Realität – in diesem Fall auszusetzen droht. Was real ist, was surreal, fiktiv oder imaginär, geht gerade ohnehin arg durcheinander. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine – er ist seit dem 24. Februar 2022, also seit genau zwei Jahren, grausame Realität. Und sorgt angesichts der immer näherkommenden Schreckensbilder für globale Alpträume.
Die ukrainische Filmemacherin Maryna Er Gorbach fügt mit “Klondike” dem Spektrum unheilvoller Visionen einige gewichtige Schichten und wesentliche Perspektivverschiebungen hinzu.
Der Krieg begann bekanntlich schon 2014, doch zunächst bewegte sich die Weltöffentlichkeit im Verunsicherungs- und wenig später wieder im Vergessenheitsmodus. Wenn nicht einmal die 298 Toten eines Passagierflugzeugs internationale Aufmerksamkeit für den Krieg im Donbass erzeugen konnten, wäre es an der Zeit, so Er Gorbach, zur filmischen Tat zu schreiten.
Die Wrackteile und Leichen des am 17. Juli 2014 abgeschossenen Malaysia-Airlines-Flugs 17 bilden den wahren Ereigniskern ihres Films, der wie viele andere ukrainische Produktionen über den so lange verdrängten und unterdrückten Krieg auch dies erzählt: dass die Alpträume der Menschen in der Ukraine schon acht Jahre lang andauerten. Als “Klondike” im Januar 2022 bei seiner Weltpremiere in Sundance mit dem Preis für die beste Regie und wenig später bei der Berlinale mit dem Preis der Ökumenischen Jury ausgezeichnet wurde, war die Ukraine von allen Seiten militärisch bedroht; die zweite Invasion lag da schon in der Luft.
Seitdem ist “Klondike” der Film der Stunde – nach der Stunde Null. Aber er ist noch viel mehr: Prophezeiung und Allegorie, Dokument und Fiktion, Aufdeckung und Anklage. Der Film einer Frau über eine Frau, die eine kleine, noch ungeborene Frau im Bauch trägt. Umgeben von einer Welt der voranschreitenden Verrohung, der Zerstörung, des Tötens und Sterbens, auf die man durch jenes riesige Loch sieht, das ein Querschläger im Wohnzimmer von Irka und Tolik hinterlassen hat.
Irka, gespielt von einer großartig hilflos-hinnehmend-kämpfenden Oxana Tscherkaschina, wird in diese Welt ein Mädchen gebären; ihr Mann Tolik, ihr Bruder Jarik und auch die Kuh Maya werden das nicht mehr erleben. Es ist nicht zuletzt das unterschwellige, scheinbar ruhige und doch so vehemente Tempo, mit dem die Gewalt hier Mensch und Haus erfasst, das sprachlos macht und “Klondike” so erschütternd. Die nachdenklich-langsamen Schwenks, mit denen die Kamera die Wahrnehmung auf eine zunehmend zur Kriegslandschaft werdende Umgebung einfängt, tragen dazu maßgeblich bei.
Daneben entfaltet sich die universale Tragödie auch im innerfamiliären Mikrokosmos: Irkas mit den Separatisten befreundeter Gatte Tolik, der Vater des Kindes, bewohnt ein Zimmer, das früher Irkas pro-ukrainischem Bruder Jarik gehörte, der den Schwager des Verrats bezichtigt.
Bis sich die beiden Männer beim verzweifelten Versuch, der von ihnen geliebten Irka die Geburt und damit neues Leben zu ermöglichen, fast die Köpfe einschlagen, haben aber Söldner längst das Wohnzimmer durch das offene Loch betreten und in ein Munitionsarsenal verwandelt. Neben dem Verschwindenlassen von Beweismaterial über den Flugzeugabschuss oder dem freiwilligen Schlachten der eigenen Kuh zur Fütterung von Terroristen ist das nur eines von vielen realistischen Details dieses Anti-Kriegsfilms.