Das mag der Kölner heute nur schwer fassen: der Dom als unvollendetes Bauwerk. Aber über Jahrhunderte prägte der Kran auf dem Stumpf des Südturms die Stadtsilhouette. Der Chor war zwar schon fertig, aber das Langhaus nur mit einem Notdach versehen. Der im Mittelalter enthusiastisch begonnene gotische Bau schleppte sich bald dahin und erlebte schließlich einen totalen Bau-Stopp, gegenüber dem sich die Verzögerungen am Berliner Flughafen als Kleinigkeit ausnehmen. Doch am Ende bekam auch das Mega-Projekt Kölner Dom seine neue Chance: knapp 300 Jahre nach Einstellung der Arbeiten.
Zentral-Dombau-Verein feiert 175 Jahre
Vor 175 Jahren – am 4. September 1842 – legte Friedrich Wilhelm IV. von Preußen den „Weiterbau-Grundstein“ auf der Südseite des Doms. „Hier, wo der Grundstein liegt, dort mit jenen Türmen zugleich, sollen sich die schönsten Tore der ganzen Welt erheben“, sagte der König. Dass es überhaupt soweit kam, ist dem Wirken zahlreicher Kräfte zu verdanken – darunter nicht zuletzt dem Zentral-Dombau-Verein, der in diesem Jahr sein 175-jähriges Bestehen beging.
Wie so oft bei Bauprojekten ging es auch beim Dom ums liebe Geld. Kein Thema war es, als der Kölner Erzbischof Konrad von Hochstaden 1248 den Grundstein für die Kathedrale legte.
Seit Jahrzehnten zogen die Reliquien der Heiligen Drei Könige Pilgermassen nach Köln und machten die Stadt zu einem florierenden europäischen Zentrum. Die von Meister Gerhard entworfene Kathedrale wuchs – bis 1530 die Mittel knapp und knapper wurden. Zur Zeit der Reformation mit ihrer Kritik am Reliquienkult blieben immer mehr Pilger und die Ablass-Einnahmen aus. Zudem traf die Gotik nicht mehr den Geschmack der Zeit. 1560 beschloss das Domkapitel, den Dombau endgültig einzustellen. Der Verfall begann.
Regenwasser drang ins Innere. Marode Turmaufsätze wurden abgetragen. Schließlich musste der vergoldete Dachreiter abmontiert werden. Den Tiefpunkt erlebte der Dom 1794, als die napoleonischen Truppen das Gotteshaus zum Futtermagazin für Pferde, Militärdepot und Gefangenenlager umfunktionierten.
Doch es sollte auch wieder die Zeit kommen, den Dom aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken. Schlüsselfigur ist Sulpiz Boisseree (1783-1854). Er und sein jüngerer Bruder Melchior ließen sich beim Studium in Paris vom Gelehrten Friedrich Schlegel für den Gotik-Stil begeistern. Zurück in Köln, reifte bei Boisseree der Gedanke an einen Weiterbau des Doms. „Ich begann leidenschaftlich von einem Werke zu träumen, welches dieses so traurig unterbrochene Denkmal deutscher Größe im Bild vollendet darstellen sollte“, schrieb er in seiner Autobiograhpie.
Boisseree startete eine unermüdliche Lobby-Arbeit. Er ließ Kupferstiche anfertigen – von der Ruine wie vom Entwurf des vollendeten Doms. Damit versuchte er, Prominente zu gewinnen – etwa den sehr einflussreichen Goethe. Nach einer Begegnung mit ihm schrieb Boisseree seinem Bruder: „Mit dem alten Herren geht es mir vortrefflich – bekam ich auch am ersten Tag nur einen Finger, den anderen hatte ich schon den ganzen Arm.“ Auch Friedrich Wilhelm – damals noch Kronprinz – konnte er seine Pläne vorstellen und bei einem Ortstermin 1814 für die Sache begeistern.