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“25 Letzte Sommer” erzählt von tröstlicher Männerfreundschaft

Der Medienmanager Stephan Schäfer verarbeitet in “25 Letzte Sommer” auch seine eigenen Erfahrungen bei Gruner + Jahr und RTL. Dabei hält das Buch die Balance zwischen “Landlust”-Idyll und Selbsthilfe-Manual und hat eine in jedem Fall so bedenkenswerte wie christliche Botschaft: Leben ist mehr.

“Wie viele großartige Floristen, Tänzer, Zauberer wohl in den Bürotürmen dieses Landes sitzen und von ihrem Ausbruch träumen?”, fragt Karl irgendwann sein Alter Ego. Da kennen sich die beiden schon etwas länger, wenn auch nur kurz. Doch sie haben ja noch mindestens 25 Sommer, Karl, der ältere malende Kartoffelbauer und der Ich-Erzähler, der als Manager eines großen Unternehmens mitten in einer latenten Sinnkrise steckt. 25 Sommer, in der sie ihre Freundschaft vertiefen und erzählen können. Und so heißt denn auch Stephan Schäfers erster Roman “25 Letzte Sommer”.

Die Rahmenhandlung ist schnell umrissen: Der überarbeitete Manager trifft, von nicht seniler, sondern hyperaktiver Bettflucht getrieben frühmorgens beim Schwimmen im See den in sich ruhenden Karl, der ihn offen auf- und annimmt und seine innere Ruhe mit ihm teilt. Für den rastlosen Funktionsmenschen beginnt schlagartig eine wohltuende Entdeckung der Langsamkeit, die ihn zu seinem eigenen Erstaunen dazu bringt, sich einem eigentlich völlig fremden Menschen zu öffnen. Es gibt Kaffee, Kuchen und Glückshormone satt. Und am Ende ist der Ich-Erzähler noch kein ganz anderer Mensch. Aber schon ein gutes Stück auf dem Weg dorthin.

Schäfer erzählt hier quasi eine Coming-of-Age-Geschichte für Erwachsene, für das ganze Konglomerat an Midlife-Crisis/Fast-Burnout/Soll-das-alles-gewesen-sein-Gefühl. Das liest sich manchmal arg self-improvementhaft und erinnert mit seiner schlagworthaften Phraseologie an den seit mehr als einem halben Jahrhundert immer wieder aufgelegten Dale-Carnegie-Klassiker “Sorge dich nicht, lebe!”. Aber dann gibt es auch immer wieder Sätze wie den hier, die einfach nur schön sind: “Mit fünf Mohnbrötchen, drei Croissants und einem Gefühl, das man sich weder kaufen noch selber backen kann, war ich unterwegs zum Hof.”

Dort lebt Karl inmitten von Büchern, Bildern und Kartoffeln. Das Ganze ist “eher Wildnis als Bundesgartenschau”. Und der ziemlich weise Ältere ist natürlich in Wahrheit auch ein Teil der Persönlichkeit des Ich-Erzählers selbst, der damit auch die Antwort einer Frage gibt, die er im Buch erst gar nicht beantworten kann: “Was ist dein größter Traum?”.

Dass Schäfer, der Medienmanager, der als Mastermind hinter der Zusammenführung des altehrwürdigen Hamburger Verlagsriesen Gruner + Jahr mit seinen Titeln wie “Stern”, “Brigitte” oder “Geo” mit der Privatsendergruppe RTL galt, hier eigene Erfahrungen und Verletzungen beschreibt, liegt auf der Hand. Das Handy zittert im Alltag permanent, fast gespenstisch mutet die Beschreibung eines gemeinsamen Essens mit Freunden an: Da hatte man sich zunächst aus Spaß darauf geeinigt hat, die mobilen Endgeräte stummgeschaltet am Tischende zu stapeln und wie in alten Zeiten ungestört zu speisen und zu quatschen. Doch dann leidet die Truppe spürbar unter ihrem Offline-Zustand.

Zu Anfang der Geschichte, im Wochenendhaus, dem “Zufluchtsort” und “ganz großen Glück zur Miete” liegt der Ich-Erzähler früh wach, “in meinem Kopf war es nie still, die Arbeit stets unsichtbar mit im Gepäck” – auch am vom hochbezahlten Munde abgesparten Wochenende. “Abarbeiten statt Leben”, wird ihm das ganze wie eigene Dilemma klar. “Mit jedem neuen Smartphone wurde ich immer erreichbarer und überall verfügbar”, und natürlich “getrieben von Abgabeterminen, von Erwartungen anderer und den eigenen”. Da war also einer “streng zu sich selbst, selten zufrieden, entschlossen statt entspannt.” Und natürlich geht es vielen so und jeder und jedem ist ein Karl zu wünschen, der hier für Erdung im ganz wortwörtlichen Sinne sorgt – egal ob mit Kartoffeln oder ohne.

Schäfers Anliegen leidet dabei allerdings ein bisschen am Journalisten Schäfer, der zwar in sich hineinhorcht, aber dann doch eher flüssig schlagzeilt. Manager, hört die Signale, könnte das Ganze überschrieben sein. “Karl wusste nach einer Stunde mehr von mir als mein Chef nach zehn gemeinsamen Jahren Bürotür an Bürotür”. Wobei auch Karl nicht immer der in sich ruhende Weise war. Auch er war in einem früheren Leben anders, nicht Top-Manager, sondern Buchhalter, dessen Frau spürte und sah, “dass er morgens wie eine alte Hauskatze die Treppe hinunterschlich, um blass mit dem Bus ins Büro zu fahren.” Dass auch dieser Karl nicht von jetzt auf gleich alles hinter sich lassen konnte, sondern sich erst an das ganz andere Leben herantasten musste, erfährt man eher nebenbei. Doch es tröstet dann doch und konterkariert angenehm das plötzliche Begreifen des Ich-Erzählers.

So hält Schäfers Erstling mit seinen flott konsumierbaren 170 Seiten durchaus Balance und bringt seine Botschaft klar rüber. Sie lautet im übertragenden Sinne schlicht gut westfälisch – der Mann kommt schließlich wie der Rezensent aus Witten an der Ruhr: “Rinn in die Kartoffeln!”

Wer darüber hinaus subtile Anmerkungen zu Schäfers Zeit bei Bertelsmann – dem Konzern sowohl hinter Gruner + Jahr als auch RTL – sucht, wird ebenfalls fündig. Wie heißt es doch so schön gegen Mitte des Buches: “Kreativität entsteht durch Empathie und Langeweile.”