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Zwei Bäume, ein Fest: Wie Trennungskinder Weihnachten erleben

Viele Trennungskinder pendeln an Weihnachten zwischen zwei Haushalten. Warum klare Absprachen, Ruhe und realistische Erwartungen wichtiger sind als perfekte Harmonie.

Expertinnen erklären, wie Trennungskinder Weihnachten erleben und was Eltern tun können, um ihnen Sicherheit zu geben
Expertinnen erklären, wie Trennungskinder Weihnachten erleben und was Eltern tun können, um ihnen Sicherheit zu gebenepd-bild/Heike Lyding

Für Lea und Yannis ist Weihnachten ein Fest der doppelten Freude – und der doppelten Anspannung. Ihre Eltern haben sich vor drei Jahren getrennt. Da waren die beiden fünf und vier. Seitdem pendeln die Geschwister jedes Jahr an Weihnachten: Heiligabend und den Vormittag des ersten Feiertags verbringen sie bei ihrer Mutter, den Nachmittag und den zweiten Feiertag beim Vater mit neuer Partnerin und kleinem Halbgeschwisterchen.

Für Lea und Yannis bedeutet das ein doppeltes Weihnachten: zwei Christbäume, zweimal Gans, zweimal Bescherung. Doch das Fest ist für sie auch mit Anspannung verbunden, denn mit jedem Wechsel müssen sie sich auf eine andere Familienkonstellation einstellen. „Manchmal ist es schön, alles zweimal zu haben“, sagt Lea, „aber manchmal wäre es einfacher, wenn wir alle zusammen feiern würden.“

Trennungskinder erleben Weihnachten oft mit starken Gefühlen

„Bei Trennungskindern kann zur Weihnachtszeit verstärkt der Wunsch nach einer heilen Familie hochkommen“, sagt Anne Bergner, Kinder- und Jugendtherapeutin aus Frankfurt am Main. Damit gingen oft Traurigkeit, Wut und vor allem Hilflosigkeit einher, erläutert sie im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Laut Bertelsmann-Stiftung wächst jedes sechste Kind in Deutschland mit getrennten Eltern auf. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland rund 129.300 Ehen geschieden; in gut der Hälfte der Fälle waren minderjährige Kinder betroffen – etwa 111.000 Jungen und Mädchen. Hinzu kommen etwa 80.000 Kinder, deren Eltern ohne Ehe getrennte Wege gehen. Einige leben überwiegend bei einem Elternteil und sehen den anderen an Wochenenden oder in den Ferien, andere leben im sogenannten Wechselmodell und wechseln regelmäßig zwischen beiden Haushalten. Auch an den Feiertagen heißt es: Pendeln zwischen zwei Welten.

Weihnachten nach der Trennung der Eltern ist für Kinder Freude und Herausforderung zugleich
Weihnachten nach der Trennung der Eltern ist für Kinder Freude und Herausforderung zugleichepd-bild / Jörn Neumann

„Kinder profitieren von klaren Absprachen und festen Traditionen“, sagt Alexandra Langmeyer-Tornier vom Deutschen Jugendinstitut in München. „Ein jährlicher Wechsel oder eine Aufteilung zwischen den Feiertagen funktioniert meist gut, solange Übergaben ruhig und konfliktfrei bleiben.“ Kinder bräuchten Sicherheit, keine Symmetrie, betont Langmeyer-Tornier. Sie könnten gut damit leben, dass Heiligabend mal hier, mal dort gefeiert werde – entscheidend sei, dass sie das verstünden und keiner unter Druck gerate.

Trennungskinder profitieren von klaren Weihnachtsplänen

Eine gemeinsame Feier sei nur dann sinnvoll, wenn das Verhältnis der Eltern unbelastet sei, sagt Langmeyer-Tornier: „Sonst ist getrennt feiern besser und für Kinder oft entspannter.“ Dem stimmt Anne Bergner zu. Sie warnt davor, nur „den Kindern zuliebe“ gemeinsam feiern zu wollen. Wichtiger sei, dass der Elternteil, der Heiligabend nicht mit den Kindern verbringe, einen eigenen Plan für diesen Abend habe. „Damit signalisiert er den Kindern: Ich kümmere mich um mich, du musst dir um mich keine Sorgen machen, und es ist in Ordnung, wenn du bei dem anderen Elternteil eine gute Zeit hast.“ Das entlaste Kinder von Loyalitätskonflikten, so die Therapeutin.

Für viele Eltern ist das ein Lernprozess, beobachtet Ingeborg Widmann, Psychologin und Erziehungsberaterin aus Stuttgart. „Wir erleben jedes Jahr, wie herausfordernd die Weihnachtszeit für getrennte Familien sein kann“, sagt sie. Die Feiertage seien stark emotional aufgeladen und gälten traditionell als Fest der Familie und der Nähe. „Für viele Eltern, deren Trennung noch nicht lange zurückliegt oder die Schwierigkeiten haben, verlässliche Absprachen zu treffen, wird diese Zeit besonders belastend.“ Gefühle von Trauer, Wut oder Scham träten dann oft verstärkt auf, und der Heilige Abend werde schnell zum Zankapfel.

Aus ihrer Sicht hilft vor allem eine gute Vorbereitung: Weihnachten bewusst zu planen und dabei die eigenen Erwartungen realistisch zu halten. Wer frühzeitig das Gespräch mit dem anderen Elternteil suche, schaffe Entlastung für alle Beteiligten. Die Bedeutung der Feiertage sollte aber auch nicht überhöht werden, sagt Widmann: Weihnachten umfasse nur wenige Tage des Jahres. Langfristig sei ein verlässlicher Alltag für Kinder aber weit wichtiger.

Trennungskinder und Geschenke: Weihnachten braucht Absprachen

Und dann ist da noch die Sache mit den Geschenken. „Ich kriege doppelt so viele Geschenke“, hört man von Trennungskindern mitunter. „Dass Kinder diesen Gedanken äußern, ist völlig normal und oft ein Versuch, der neuen Situation etwas Positives abzugewinnen“, sagt Langmeyer-Tornier. Eltern sollten aber unbedingt vermeiden, in Konkurrenz miteinander zu treten. Gute Absprachen zu Geschenken könnten helfen, Übertreibungen vorzubeugen, und vermittelten dem Kind, dass es nicht zwischen den Eltern vergleichen müsse. „Weihnachten lebt von Nähe und Zeit, nicht von der Zahl der Päckchen“, sagt die Expertin.

Für Lea und Yannis heißt das: zwei Bäume, zwei Tische, zwei Familien – und doch ein Fest. Mal sind sie an Heiligabend bei Mama, mal bei Papa. „Ich finde es schön, wenn wir nach den Feiertagen erzählen können, wie es bei dem anderen war“, sagt Yannis. „Dann fühlt es sich ein bisschen so an, als hätten wir doch zusammen gefeiert.“ Entscheidend ist für sie, dass beide Eltern ihnen zeigen, dass sie willkommen sind.