Artikel teilen:

Zum 50. Todestag von Hannah Arendt – “Philosophin” wider Willen

Vor 50 Jahren starb Hannah Arendt in New York City. Ihre Analysen über Macht, Moral und das Böse fordern vielleicht mehr denn je heraus: dazu, Verantwortung zu übernehmen, ohne einfache Antworten zu suchen.

“Philosophin”, diesen Ausdruck mochte sie nicht. Sie selbst bezeichnete sich als Theoretikerin. Die Schriften von Hannah Arendt jedenfalls – ihr “Denken ohne Geländer”, wie sie es einmal nannte – finden immer größere Beachtung. 1906 in Hannover geboren, schrieb Arendt ihre Doktorarbeit über den Begriff der Liebe bei Augustinus, arbeitete als Journalistin und stand im Austausch mit Martin Heidegger und Karl Jaspers. Am Donnerstag jährt sich der Todestag der jüdischen Publizistin, die 1933 vor der NS-Verfolgung in die USA floh, zum 50. Mal.

Schon zu Lebzeiten stieß Arendt zahlreiche Debatten an, darunter eine der vielleicht wichtigsten über das Böse. 1951 war “Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft” erschienen, das Buch, das sie berühmt machte. Zehn Jahre später begleitete die Politologin den Prozess gegen den SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann für die Zeitschrift “The New Yorker”. Daraus entstand das Buch “Eichmann in Jerusalem – Ein Bericht von der Banalität des Bösen”. Daraus ist heute eine Art Redewendung geworden – die zugleich immer wieder missverstanden wird.

Kritisiert wurde dieses Werk von Arendts Gegnern, aber auch Freunde wandten sich von ihr ab. Neben einem teils polemischen Stil wurde ihr vor allem der Ausdruck “banal” vorgeworfen. Überlebende des Holocaust empfanden dies als verharmlosend, als zweite, symbolische Ermordung – ausgerechnet durch eine jüdische Autorin. Bis heute kritisieren Historikerinnen und Historiker zudem, Arendts Argumentation greife zu kurz.

Sie hat jedoch eine Frage aufgeworfen, die sich immer wieder bei Gewalttaten stellt: Wie können augenscheinlich normale, harmlos erscheinende Menschen anderen die grausamsten Dinge antun? “Wenn übergeordnete Institutionen das Töten erlauben, beteiligen sich oftmals auch Menschen daran, die vorher eher unauffällig gelebt haben”, sagt etwa der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit: Das sei in der NS-Zeit ähnlich gewesen wie beim Völkermord 1994 in Ruanda.

So wird das Böse für Arendt gerade durch die scheinbare Alltäglichkeit von Eichmanns Auftreten und Erscheinungsbild zu einer allgegenwärtigen Gefahr. Darf man jemanden, der als Demagoge und einer der führenden Köpfe hinter der Judendeportation gilt, als “Gespenst” beschreiben, “das dazu gerade einen Schnupfen hat”, aber nicht einmal unheimlich wirke? Vielleicht sollte man es nicht. Doch die Aufforderung, Täter nicht als Dämonen zu betrachten – und letztlich zu verharmlosen -, hat an Aktualität kaum verloren.

Nach 1945 kehrte Arendt mehrfach nach Deutschland zurück. Sie nahm die Weigerung weiter Teile der Nachkriegsgesellschaft aufs Korn, für die Verbrechen während der NS-Herrschaft Mitverantwortung zu übernehmen. So mischte sie sich in die 1963 beginnende Kontroverse um das Theaterstück “Der Stellvertreter” ein, das Papst Pius XII. fehlenden Widerstand gegen die Judenvernichtung vorwarf – obgleich sie das Stück von Rolf Hochhuth nach eigenem Bekunden nicht gut fand. Es sei “keine Frage”, dass eine Stellungnahme aus dem Vatikan “ein Faktor von größter Bedeutung gewesen wäre”, schreibt sie.

Ihr gehe es stets um das Verstehen, erklärte Arendt 1964 in einem Fernsehinterview, das der Journalist Günter Gaus als das eindrucksvollste bezeichnete, das er je geführt habe. Das Schreiben gehöre für sie dazu: Es sei “Teil in dem Verstehensprozess”.

Es sei stets ein Wagnis, sich öffentlich zu äußern oder auch Beziehungen einzugehen, fügte die Publizistin damals hinzu. Dafür brauche es ein “schwer zu fassendes, aber grundsätzliches Vertrauen in das Menschliche aller Menschen”.

Gemeinsinn und Versöhnung sind für Arendt auch politische Kategorien. Der Essayist Daniel Schreiber wirbt in seinem neuen Buch “Liebe! Ein Aufruf” dafür, Denkerinnen und Denker, die sich – wie Arendt – mit dieser politischen Idee von Liebe befasst haben, neu zu entdecken. Für die Theoretikerin begann das Politische mit der Zuwendung zum Anderen – und Liebe galt ihr in diesem Zusammenhang als Möglichkeit, die Welt zu gestalten, ohne sie beherrschen zu wollen.