Predigttext (in Auszügen)
(…) 3 Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. (…) 8 Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. 9 Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? 10 Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. 11 Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. 12 Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. 13 Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. 14 Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir‘s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. 15 Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. (…)
Mord und Totschlag ziehen sich wie eine Blutspur durch die Geschichte. Ob häusliche Gewalt oder Bruderzwist, rassistische Angriffe oder sexuelle Ausbeutung – es gibt viele Weisen, wie Menschen anderen Leid zufügen oder gar das Leben nehmen.
Kaum haben die Menschen das Paradies verlassen, geht es schon los. Und bis heute hat sich nichts geändert. Das Blut so vieler Kinder, Frauen und Männer schreit zu Gott.
Manchmal scheint es so, als könnten wir weghören und wegschauen. Als ginge uns das alles nichts an, wenn in fernen Ländern Kriege geführt werden. Wenn Menschen ausgebeutet und versklavt werden. Wenn Flüchtlinge in ihrer Not keinen Ort finden, an dem sie sicher sind.
Denn sehnt sich nicht jede und jeder nach der eigenen kleinen heilen Welt? Nach dem verlorenen Paradies? Da passen die vielen unschönen Szenen einfach nicht ins Bild.
Dunke Seiten nicht ausgeblendet
Die Bibel macht es anders. Da werden die dunklen Seiten des Lebens nicht ausgeblendet. Da wird auch nicht schöngeredet, wie grausam es in unserer Welt oft zugeht. Denn Gott verschließt die Augen nicht vor all dieser Not.
Es mag viele Gründe geben, warum Menschen sich so schwer damit tun, in Frieden und Gerechtigkeit zusammen zu leben. Unsere Geschichte nennt ein häufig auftretendes Moment: den Neid. Da gönnt einer dem anderen nicht das Wohlergehen. Oder den Erfolg. Oder den Besitz.
Wobei die Dinge hier noch etwas anders liegen. Denn Kain ist neidisch, dass Gott seinem Bruder offensichtlich wohlgesonnener ist als ihm selbst. Gibt’s denn so was?
Es braucht keine Opfergaben, um ins Grübeln zu kommen. Ich habe doch immer anständig gelebt, und jetzt bin ich so krank. Ich habe mich immer für andere eingesetzt, und jetzt bin ich im Alter allein. Ich habe immer gebetet, und was hat’s mir gebracht?
Neid und Enttäuschung können zerstörerische Kräfte in uns freisetzen. Der 73. Psalm greift solche Erfahrungen auf und begegnet ihnen mit einem trotzigen Dennoch: Dennoch bleibe ich stets an dir. (Ps 73,23)
Kain findet nicht zu diesem Dennoch. Er wird aufgerieben vom Neid und nimmt seinem Bruder das Leben.
Hier könnte die Geschichte zu Ende sein. Doch die Bibel erzählt mehr. Die Gewalttat ist nicht das letzte. Da ist noch mehr zu sagen. Zum einen: Das Blut Abels schreit zu Gott. Und der hört hin. Ihn lässt das nicht kalt. All das Unrecht, das unsere Welt überschwemmt, verhallt nicht unerhört. Und die um ihr Recht und das Leben Gebrachten finden bei Gott eine Zukunft.
Das zweite mag manche und manchen verstören: Der schuldig gewordene Kain wird nicht vom Erdboden verschluckt. Obgleich er die Folgen seiner Tat tragen muss, wird sein Leben geschützt. Auch ihn verstößt Gott nicht für immer.
Ist das gerecht? Kann das so richtig sein? Es ist Gottes Gerechtigkeit. Und unzählige Male habe ich selbst davon profitiert. Nicht weil ich jemanden umgebracht hätte. Aber weil Gott auch mir Wege eröffnet hat, Neues zu wagen. Trotz meiner Schuld oder meines Versagens.
Gott schaut nicht weg. Er drückt auch nicht einfach ein Auge zu. Er rächt das unschuldig vergossene Blut Abels. Doch auch das Leben Kains bleibt ihm wichtig.
Mir fällt es schwer, beides zusammenzubringen. Gerade darum gibt es diese Geschichte in der Bibel. Damit auch ich hinschaue und hinhöre. Und mein Herz sich erweichen lässt durch Gottes Barmherzigkeit.