Lejla Demiri, Professorin für Islamische Glaubenslehre, sitzt in ihrem Büro in der sechsten Etage des Neubaus des Zentrums für Islamische Theologie in Tübingen (ZITh). Aus ihrem Fenster ist das „Theologicum“, das Gebäude der evangelischen und katholischen Fakultät zu sehen. Seit dem Frühjahr ist das ZITh in den Neubau gezogen, zuvor war es auf zwei Standorte verteilt. Gemeinsam mit dem Theologicum ist damit ein „Campus der Theologien“ entstanden.
„Als unsere Studierenden in den Neubau einzogen, waren sie vor allem überrascht, wie schön dieser Platz ist“, sagt die Direktorin des Zentrums für Islamische Theologie. Mittlerweile fühlten sich alle hier zu Hause und das Gefühl, zur Universität und den theologischen Fakultäten dazu zugehören, habe sich durch den Neubau verstärkt.
Der Neubau, in den das Land laut Auskunft des baden-württembergischen Finanzministeriums rund 22,8 Millionen Euro investiert hat, ist ein architektonisches Statement: In ihm befindet sich auf rund 2.600 Quadratmetern Fläche eine große Bibliothek, Seminarräume und Büros. Der Neubau wird nicht alleine von der islamischen Theologie genutzt, sondern auch von der katholischen und evangelischen Theologie. Außerdem sind einige Räume vom Fachbereich Psychologie belegt. Am Donnerstagabend (14.11.) übergibt das Land in Anwesenheit von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) offiziell die Schlüssel des Neubaus an die Universität Tübingen.
Laut dem baden-württembergischen Wissenschaftsministerium ist der Neubau „der neue Mittelpunkt des Campus der Theologien“. „Durch die räumliche Nähe werden optimale Voraussetzungen für einen offenen Dialog zwischen den Religionen, für den wissenschaftlichen Austausch und für das persönliche Miteinander geschaffen.“
So nimmt das auch Direktorin Demiri wahr: „Von Beginn an haben wir intensiv mit den christlichen Theologien kooperiert, und die akademische Zusammenarbeit sowie der Austausch mit ihnen haben maßgeblich zur Weiterentwicklung unserer Lehr- und Forschungstätigkeiten beigetragen. Uns war klar: Wir können und wollen den Islam nicht isoliert unterrichten.“ Ein schönes Beispiel der interreligiösen Zusammenarbeit seien die jährlichen gemeinsamen Seminare der Theologien zum „Scriptural Reasoning“, einer Methode, in der sich Christen, Juden und Muslime anhand ihrer Schriften zu einem gewählten Thema austauschen.
Seit das ZITh 2011 als bundesweit erstes Zentrum für Islamische Theologie gegründet wurde, hat sich viel getan: Es bietet acht Studiengänge an, darunter den Lehramtsstudiengang „Islamische Religionslehre“, Islamische Theologie als Bachelor und Masterstudiengang und als einzige Universität in Deutschland einen Studiengang zu „Islamische Praktische Theologie für Seelsorge und Soziale Arbeit“, der sich gezielt an zukünftige islamische Seelsorger und Sozialarbeiter richtet. Gemeinsam mit den christlichen Theologien verantwortet das Zentrum zudem einen Studiengang zu interreligiösen Studien.
Mittlerweile gibt es schon die nächste Generation von islamischen Theologen: Ehemalige Studierende sind nun als Dozenten am ZITh tätig und als islamische Religionslehrer an Schulen, bei denen die aktuellen Lehramtsstudierenden ein Praktikum absolvieren können. „Das ist eine wirkliche Erfolgsgeschichte“, sagt die Direktorin.
Bedenken, dass islamische Verbände Einfluss auf das Zentrum nehmen könnten, sind für Demiri völlig unbegründet: „Wir haben vollkommene Lehr- und Forschungsfreiheit und entscheiden frei, mit wem wir im In- und Ausland kooperieren.“ Schon ein Blick auf die Dozenten zeige, wie divers das Zentrum aufgestellt sei: „Jeder unserer Professorinnen und Professoren hat einen anderen ethnischen und akademischen Hintergrund.“
Insgesamt hat das ZITh derzeit 165 Studierende, darunter 75 Lehramtsstudierende und 31 Doktoranden. Zum Vergleich: In Tübingen gibt es insgesamt 246 Studierende in der katholischen Theologie und 552 in der evangelischen Theologie.
Der Aufbau des Zentrums sei für alle Lehrpersonen sehr herausfordernd gewesen, bis die Studiengänge etabliert wurden und das Zentrum sich einen guten wissenschaftlichen Ruf erarbeitet habe, doch die Arbeit habe sich gelohnt, sagt Demiri: „Die Fragen, die ich in den Seminaren höre, zeigen: Hier sitzen Menschen, die neugierig und wissbegierig sind und die Welt jetzt und für zukünftige Generationen verbessern wollen. Das motiviert mich jeden Tag“. (2523/11.11.2024)