Sie leben am Rande der Gesellschaft. Schwer krank. Manche vermutlich schon seit Jahren. „Zehn aussätzige Männer“, so werden sie im Lukasevangelium genannt. Als sie Jesus begegnen, rufen sie ihn. Sie wollen geheilt werden: „Lieber Meister, erbarme dich unser!“ Und es geschieht tatsächlich. Die Priester, damals dafür zuständig, bestätigen es prompt. Die Männer sind gesund geworden.
Dann die Pointe der Geschichte: Nur einer der Geheilten geht zu Jesus zurück und dankt ihm, wirft sich sogar vor ihm nieder. Und das ausgerechnet als Samariter, also Nicht-Jude. Jesus fragt noch nach den anderen neun: „Hat sich sonst keiner gefunden, um Gott die Ehre zu geben, als dieser Fremde?“ Fehlanzeige.
Predigten über diese Geschichte haben oft einen moralischen Unterton. Warum sind die Menschen so undankbar? Warum geht nur einer der Zehn zu Jesus zurück? Doch vielleicht ist die Erzählung viel lebensnäher, als es zunächst scheint. Manchmal ist einem eben nicht zum Danken zumute. Zu viele Sorgen können die Dankbarkeit überdecken. Vielleicht war das auch bei den Aussätzigen so. Könnten wir sie heute noch fragen, bekämen wir vielleicht eine Erklärung.
Einer schämte sich womöglich. Weil er zwar geheilt wurde, viele andere in seinem Dorf aber nicht. Ist das nicht ungerecht? Ein anderer glaubte vielleicht gar nicht an ein Wunder. Ein Skeptiker. Er wäre eh wieder gesund geworden. Jesus hatte damit gar nichts zu tun. Eine Sichtweise, die heute wohl viele Menschen teilen würden. Dann gibt es aber im umgekehrten Fall – etwa bei einem Unglück – auch keine Klage. Dann ist nämlich alles Zufall. Dann muss ich mich bei niemandem bedanken und kann mich auch bei niemandem beklagen.
Und ein Dritter ist vielleicht traurig über die verlorenen Jahre. Die Freude über seine Heilung ist überdeckt von dem Frust, dass er so lange als Ausgestoßener leben musste. Kein Arbeitsleben, kein soziales Leben, kein Familienleben. Er fragt sich, ob er sich das jetzt als Geheilter überhaupt noch einmal aufbauen kann.
Es gibt also viele Gründe, nicht dankbar zu sein, manche durchaus nachvollziehbar. Da nutzen auch alle Appelle nichts. Wie oft ist zu lesen: „Überlege dir jeden Abend drei Dinge, für die du dankbar sein kannst.“ Das ist ganz sicher eine gute Übung. Aber manchmal geht es eben nicht. Dank kann nicht verordnet werden. Dank ist spontan und freiwillig.
Die biblische Geschichte bildet also vielleicht schlicht die Realität ab: Die Menschen sind nur zu zehn Prozent dankbar für das, was ihnen im Leben Gutes widerfährt. Und die anderen 90 Prozent werden überdeckt. Von Skepsis, von Sorgen, von Zukunftsangst.
Aber warum macht es der Samariter anders? Ich stelle mir vor, dass er es stellvertretend tut. Er lobt Gott, auch für all die anderen, die ihr Glück nicht in Dank verwandeln können. Genauso wie manche Menschen für andere beten, die es gerade selbst nicht können.