Mit “Der Prinz von Saudi-Arabien” meistert der britische Dokumentarfilmer Colin Murray die Herausforderung, einen kaum zugänglichen, umstrittenen und doch von vielen Seiten umworbenen Despoten zu porträtieren.
Journalistische Laien können vermutlich nicht ermessen, welche Anstrengungen nötig sind, um eine Dokumentation über einen ausländischen Potentaten zu erstellen. Der britische Dokumentarfilmer Colin Murray stellte sich der Aufgabe, Mohammed bin Salman zu porträtieren.
Der häufig zu MbS verkürzte Kronprinz Saudi Arabiens ist nicht nur wegen seiner Rolle bei der Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi 2018 im saudischen Konsulat in Instanbul umstritten.
2017 wurde MbS Kronprinz, 2022 Premierminister Saudi-Arabiens. Diese Laufbahn war nicht vorgezeichnet. Andere standen in der Hierarchie über ihm. Sein Großvater Abdulaziz Ibn Saud hatte die Osmanen von der arabischen Halbinsel vertrieben, unterwarf die einzelnen Stämme, zwang die Beduinen zur Sesshaftigkeit und ernannte sich selbst zum König des neu geschaffenen Reiches.
Er hatte 45 Söhne, von denen jeder Thronfolger werden konnte. Die Geschicke wollten es, dass 2015 Salman ibn Abd al-Aziz zum König ernannt wurde. Er war einer der jüngsten männlichen Nachkommen und doch zur Zeit der Thronbesteigung bereits 79 Jahre alt. Colin Murray beschreibt ihn als zunehmend gebrechlich.
Salmans Sohn Mohammed bin Salman hatte bereits Ministerposten innegehabt, wurde zum Chef des Hofes ernannt und verschaffte sich die Thronfolge, die vordem seinem Vetter Mohammed ibn Naif zugestanden hatte.
Der 1935 geborene Salman ist nominell noch immer König, regiert wird das Land aber von Mohammed bin Salman. Der familiären Vorgeschichte widmet sich Colin Murray im ersten Teil seines Films, in der deutschen Fassung bündig mit “Aufstieg” überschrieben. Für die Vermarktung in der englischsprachigen Welt erhielt er den Titel “Game of Thrones”. Nicht unberechtigt, denn die Intrigen und Machenschaften am saudi-arabischen Hof können mit den Inhalten der gleichnamigen Fantasy-Serie nahezu mithalten. Nur finden sie nicht in einer erdichteten Parallelwelt statt, sondern in unserer Gegenwart. Und sie haben weltpolitische Auswirkungen.
Diese sind dann Inhalt des zweiten Teils “Reform und Gewalt”, im Original deutlich schöner mit “Kingdom Come” betitelt. Zweifellos verbindet sich der Name Mohammed bin Salman mit Reformen, mit dem Bruch mit überkommenen Traditionen. Er hob den Schleierzwang für Frauen auf und erlaubte ihnen das Autofahren. Öffentliche Veranstaltungen dürfen heute von beiden Geschlechtern besucht werden. Mit Millionen Dollars brachte er den saudischen Fußball auf Weltniveau, investierte in Golf, Wrestling, Tennis. Selten tritt klarer zutage, wie auch heute noch Sport als Opium fürs Volk missbraucht wird.
Die Lockerungen verdanken sich strategischem Kalkül. MbS möchte keine Unruhen nach dem Vorbild des Arabischen Frühlings. Also kommt er den Wünschen und Bedürfnissen insbesondere der jungen Bevölkerung entgegen. Die Frauen verdanken die neuen Freiheiten dabei auch dem Umstand, dass sie künftig als Arbeitskräfte benötigt werden.
Die Reformen haben jedoch Grenzen. Die Opposition wird zum Schweigen gebracht, der regimekritische Journalist Jamal Kashoggi wurde ermordet, nach Erkenntnissen mehrerer Quellen mit Wissen von MbS. Ein früherer Leiter des britischen Auslandsgeheimdienstes MI 6 zieht im Film eine Parallele zu Wladimir Putin, dem MbS eng verbunden ist, den er sich laut Sawers sogar zum Vorbild genommen haben soll.
Dem Filmautor gelingt es, Hintergründe zu den bekannten Ereignissen zu liefern, Zusammenhänge herzustellen. Er konnte gut informierte Gewährsleute ausfindig machen, zumeist Saudis im Exil.
Der Zweiteiler “Der Prinz von Saudi-Arabien” liefert die Grundlagen zum Verständnis Saudi-Arabiens und zugleich einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der aktuellen Weltpolitik. So gilt die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Israel als einer der Gründe für den blutigen Überfall der Hamas vom Oktober 2023, der den gesamten Nahen Osten bis heute in eine Kriegs- und Krisenregion verwandelte.