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Wohnungslosigkeit in Brandenburg: Die stille Katastrophe

Ohne Wohnung, oft ohne Hilfe: In Brandenburg rutschen viele Menschen in die Wohnungslosigkeit, unbemerkt von Politik und Öffentlichkeit. Diakonie und Kirche warnen. Ein Gastbeitrag.

Viele Menschen in Brandenburg leben verdeckt wohnungslos oder müssen bei frostigen Temperaturen draußen übernachten – Diakonie und Kirche fordern mehr Hilfe
Viele Menschen in Brandenburg leben verdeckt wohnungslos oder müssen bei frostigen Temperaturen draußen übernachten – Diakonie und Kirche fordern mehr HilfeImago / Future Image

„Wohnungsverlust: Berlin steht vor einem Dammbruch!“, „Berlin versagt im Kampf gegen Obdachlosigkeit!“ – jedes Jahr, wenn es kalt wird in der Hauptstadt, bebt die Presse. In Brandenburg dagegen ist das Schicksal wohnungsloser Menschen bis heute allenfalls eine mediale und politische Randnotiz. Ein fataler Fehler.

Auch hier leben rund 4.900 Personen in Unterkünften für wohnungslose Menschen. Etwa 600 Menschen müssen nach Hochrechnungen von Bundesregierung und Sozialverbänden ganz ohne Wohnung die Nächte bei frostigen Temperaturen im Freien oder in unzureichend schützenden Räumen wie Lauben oder Garagen verbringen – und das ohne ein rettendes, im Wesentlichen von Kirchen und Diakonie getragenes Kältehilfesystem wie in Berlin.

Im Sog der Abwärtsspirale

Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. Besonders im berlinnahen Raum und in den Städten entlang der Regionalbahnverbindungen ist die Lage alarmierend: Seit einigen Jahren berichten diakonische Einrichtungen und Dienste, dass die Mieten steigen, der Konkurrenzdruck auf dem Wohnungsmarkt zunimmt und immer mehr Menschen die Beratungsstellen und Angebote der Wohnungsnotfallhilfe aufsuchen.

Die Gründe für Wohnungslosigkeit sind vielschichtig. Der angespannte Wohnungsmarkt ist dabei nur ein Teil des Problems. Weit vor dem Wohnungsverlust häufen sich häufig persönliche Probleme oder Schicksalsschläge: Arbeitslosigkeit, Trennung, Überschuldung, Sucht oder psychische Erkrankungen können eine Abwärtsspirale in Gang setzen. Ohne maßgeschneiderte Hilfsangebote kann der Weg in die Wohnungslosigkeit oftmals nicht verhindert werden.

 

Eine landesweite Strategie ist nötig

In die Beratungsstellen kommen Menschen, die kurz davorstehen, ihre Wohnung zu verlieren, ebenso wie solche, die bereits wohnungslos sind und von ihrer Kommune eine Unterkunft zugewiesen bekommen haben. Viele leben verdeckt wohnungslos, kommen bei Freunden, Bekannten oder Verwandten unter und sind für helfende Einrichtungen kaum erreichbar.

 

Manche Menschen, häufig Frauen, vermeiden die unmittelbare Wohnungslosigkeit, indem sie sich in Abhängigkeitsverhältnisse begeben oder in von Gewalt geprägten Lebensumständen bleiben. Doch auch Obdachlosigkeit, also das Fehlen jeder Unterkunft, ist längst kein rein großstädtisches Phänomen mehr. Im ländlichen Raum suchen Menschen Unterschlupf in Kellern oder schlafen in Autos. Zunehmend betroffen sind junge Menschen, Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern.

Lebenssituationen gerecht werden

Um dieser Vielfalt an Lebenssituationen gerecht zu werden, muss auch das Land Brandenburg ein gut ausgebautes und differenziertes Hilfesystem entwickeln. Seit vielen Jahren helfen Diakonie und Kirche in Brandenburg mit vielfältigen Angeboten – von Suppenküchen und Kleiderkammern bis hin zu verschiedenen Formen des Übergangswohnens. Diese riesige und wachsende Herausforderung kann jedoch nicht allein durch Spenden bewältigt werden. Land und Kommunen müssen die bestehenden Angebote finanziell besser absichern.

Darüber hinaus braucht es flächendeckend allgemeine Sozialberatungsstellen als Erstanlaufstellen für die vielfältigen sozialen Problemlagen. Aufgrund der unterschiedlichen Zuständigkeiten kann das nur mit einer zielgerichteten und verzahnten Kooperation zwischen Land, Kreisen und Kommunen auf Basis einer landesweiten Strategie gegen Wohnungslosigkeit gelingen.

Kirchen als Brückenbauer

Die Kirchen sind überall in Brandenburg präsent. Sie können Räume öffnen, Themen vor Ort politisch sichtbar machen und Menschen erreichen, die keine Beratungsstellen aufsuchen. Dabei darf es jedoch nicht nur darum gehen, Hilfe für den Notfall anzubieten. Gemeinsam mit der Diakonie muss eine noch lautere Debatte angestoßen werden: Wie kann es gemeinsam mit den politischen Instanzen gelingen, Wohnungslosigkeit zu beenden?

Diakonie und Kirche können Brücken schlagen und gemeinsam mit Land, Kreisen und Kommunen daran arbeiten, langfristige und nachhaltige Strukturen aufzubauen – damit wohnungslose Menschen nicht unsichtbar bleiben. Damit Menschen in Wohnungsnot in Brandenburg auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine echte Aussicht auf menschenwürdiges Wohnen haben.

Ursula Schoen ist Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (DWBO).
Ina Zimmermann leitet den Arbeitsbereich Existenzsicherung und Integration im DWBO.