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Wo und mit welchen Methoden Ikea seinen Rohstoff bezieht

In den 1990er Jahren warb Ikea mit dem Slogan “Entdecke die Möglichkeiten”. Den beherzigt der Konzern bis heute selbst – wenn es darum geht, seinen gigantischen Holzverbrauch zu decken. Eine Doku über gravierende Folgen.

Holzfäller ist heute kein romantischer Beruf mehr, wenn er es denn je war. Holzvollernter pflücken die Stämme wie Unkraut und richten sie gleich zu, so dass sie sich platzsparend transportieren lassen. Die riesigen Fahrzeuge treiben zugleich tiefe Furchen in den Boden, durch die der Regen die Erde wegschwemmt.

Marta Jagusztyn steht inmitten einer Ödnis. Früher war hier ein Waldgebiet der polnischen Forstbehörde. Die Bäume wurden abgeholzt. Was von ihnen übrig blieb, steht irgendwo auf dieser Welt in einem Wohn-, Arbeits- oder Kinderzimmer. Als Möbelstück von Ikea.

Der schwedische Möbelkonzern allein hat einen Bedarf von 20 Millionen Kubikmetern Holz pro Jahr. Und wer wie Ikea billig verkaufen will, muss auf niedrige Herstellungskosten achten. Ingvar Kamprad, der 2018 verstorbene Ikea-Gründer, baute sein Unternehmen auf dieser Basis auf. Er versuchte immer wieder, die Preise von Schwedens Holzlieferanten zu drücken. Die ließen sich zunächst nicht darauf ein. Kamprad wich nach Finnland und Polen, später auch nach Sibirien aus. Heute bezieht der Konzern sein Holz aus aller Welt – offiziell aus “nachhaltiger Holzwirtschaft”.

Marianne Kerfriden, Xavier Deleu und ihr Team sind dieser Ansage nachgegangen. Der Titel der 95-Minuten-Doku verrät schon, dass die Imagewerbung aus ihrer Sicht an den Tatsachen vorbeiläuft: “Wie Ikea den Planeten plündert”.

Die Reisen führten das Team nach Polen, Rumänien, Litauen, Neuseeland und Brasilien. Und natürlich nach Schweden. Überall kauft Ikea in großem Stil Holz, mit oft schwerwiegenden Folgen für Natur und Umwelt. In Rumänien werde illegaler Raubbau betrieben, so die Filmemacher. Proteste gebe es, sie würden mit Gewalt und Drohungen beantwortet. Mit Holz ist viel Geld zu verdienen. Dafür werden oft Bodenerosion und die Zerstörung von Ökosystemen in Kauf genommen. In Schweden ist die Baumflechte nahezu verschwunden, eines der Hauptnahrungsmittel von Rentieren. Als Folge schrumpft deren Bestand.

Die Filmbilder sind erschreckend: Kahl geschlagene Hügel, Erdrutsche, zurückgelassener Abfall, Monokulturen. Das FSC-Zertifikat soll eine nachhaltige Forstwirtschaft garantieren. Nach Ansicht etlicher Nichtregierungsorganisationen ist es aber eher eine Mogelpackung. Auch diesem Aspekt ging das Filmteam nach – und erfuhr als erstes, dass Ikea den Zutritt zu eigenen Baumplantagen verweigerte.

Ein Blick in die Firmengeschichte zeigt, dass es Kamprad und seinen Werbestrategen gelang, Ikea als Zeichen einer gewissen Lebensart zu etablieren. Mit einer erstaunlichen Durchsetzungskraft und einem verblüffenden Paradoxon: Billigmöbel wurden zu Prestigeobjekten. Weder schadete dem Unternehmen die Enthüllung, dass Kamprad bis in die 1950er Jahre hinein einer faschistischen Organisation angehörte, noch die Tatsache, dass Ikea seine Möbel von politischen Gefangenen unter anderem in der DDR und in Belarus herstellen ließ. Die DDR-Verbindung war schon in den 1990er Jahren bekannt, aber erst 2012 wurde in breiterem Maße darüber berichtet. Auch weil Ikea sich jetzt gezwungen sah, eine Untersuchung in Auftrag zu geben.

Trotz alledem: Der Gang zu Ikea, in eines der streng nach den Gesetzen des Neuromarketings angelegten riesigen Kaufhäuser, hat seinen Chic nicht verloren. Manchmal sieht man ein leicht schuldbewusstes Lächeln, ein ironisches Kokettieren. Und dann doch wieder die überdimensionierte blaugelbe Einkaufstasche, deren Farben wie auch die einschlägigen Reklamefilmchen dem Unternehmen einen schwedischen Anstrich verleihen sollen. Doch der originär schwedische Anteil im Sortiment hält sich in Grenzen.

Jüngst hat Ikea in Neuseeland ganze Farmen aufgekauft, um dort Holzwirtschaft zu betreiben. Widerstand regt sich, unter anderem von Seiten der Maori. Die möchten, so eine Redensart der Indigenen, “die Erde wieder in den Mantel der Bäume hüllen.” Solange Ikea alljährlich eine neue Kollektion seiner als “Fast Furniture” bezeichneten, auf rasche Abnutzung abgestellten Billigmöbel auf den Markt wirft, dürfte die Verwirklichung dieses Wunsches weiter auf sich warten lassen.