Manchmal sprechen die Steine zu ihm. Erzählen Geschichten aus ihren 800 Jahren. Dann kann Fritz Risken das Mauerwerk flüstern hören: „Aus jeder Ritze kommt dann Gesang. Nachts fühlst du das besonders; das ist einzigartig.“ Für den Künstler ist das die pure Magie und ein Quell nicht versiegender Inspiration. „Hier wurde geheiratet, getauft, gestorben, gebetet, geflucht und gefleht – und das über Jahrhunderte. Das alles steckt in diesem Gemäuer.“
„Total auf die Kapelle abgefahren“
Seit zwanzig Jahren ist der Soester, der im Sommer seinen 75. Geburtstag feiern wird – natürlich auch in der Kapelle –, Mieter des historischen Gebäudes. Vermutlich war es eine ganz besondere Fügung, dass der Künstler, der vierzig Jahre als Lehrer an der Hauptschule in Welver unterrichtet hat, davon erfuhr, dass die Evangelische Petri-Kirchengemeinde einen neuen Mieter für ihr gotisches Kleinod in der Soester Altstadt suchte. Nach zuvor zehn Jahren Nutzung hatte eine Baptistengemeinde 1998 etwas Neues am Stadtrand gebaut und war ausgezogen.
Risken selbst hatte zu diesem Zeitpunkt eigentlich andere Pläne. „Ich hatte mir gerade in Ampen für recht viel Geld ein neues Atelier gebaut“, erklärt er. Seine Frau hat ihn daher sogleich für verrückt erklärt, als er nach Hause kam und von der Kapelle berichtete. Aber da war es schon längst um ihn geschehen; da hatten die Brunsteinkapelle und die Idee, dort ein Atelier einzurichten, ihn unweigerlich in ihren Bann gezogen: „Da bin ich total drauf abgefahren, habe nachts kein Auge mehr zugemacht und mir vorgestellt, wie das sein würde, wenn ich in dieser Umgebung malen würde.“
Mit der Petrigemeinde, in der er selbst auch Mitglied ist, wurde er schnell handelseinig. „Die suchten jemanden, der die Kapelle übernimmt, weil sie selbst keinen Bedarf hatten. Man bat mich um ein Konzept, was ich denn in der Brunsteinkapelle veranstalten wolle. Mein Konzept: „Ausstellungs-, Atelier- und Begegnungsraum“ kam an und ich fand mich plötzlich in einem 800 Jahre alten, denkmalgeschützten Kapellengebäude wieder.“ Wesentliche Bedingung war, im Winter für die Heizkosten aufzukommen und das Gebäude im Rahmen der Möglichkeiten zu pflegen und instand zu halten: „Darin habe ich kein Problem gesehen. Das war es mir natürlich wert, um an diesem einmaligen Ort künstlerisch schaffen zu können.“
Doch bis zum Atelier mit der heutigen Qualität war es noch ein weiter Weg, denn zusehends wurde klar, dass das Bauwerk einen erheblichen Sanierungsbedarf hatte, den weder Risken noch die Petrigemeinde würden stemmen können. Da traf es sich gut, dass zwei heimische Bundestagsabgeordnete die denkmalgeschützte Brunsteinkapelle für sich entdeckten und sich für eine Restaurierung starkmachten. 150 000 Euro kamen 2009 vom Land und der Stiftung Denkmalschutz Deutschland, die gleiche Summe steuerte dann noch der Bund hinzu. Damit war die komplette Sanierung gesichert.
„Ich war natürlich heilfroh, dass das Geld kam. Allerdings habe ich anfangs nicht geahnt, was das für ein Kraftakt werden würde, die Kapelle zu sanieren“, erinnert sich Risken. Allein fünf Kubikmeter Schutt wurden aus dem Gebäude gekarrt. Die komplette Decke musste restauriert werden, und auch die Außenwand wurde generalüberholt. „Ein Jahr lang war das hier eine Baustelle. Aber dann war es vollbracht. Ich bin vermutlich der einzige Künstler, der sein Atelier in einer Kapelle mit einer 800-jährigen Geschichte hat.“
Das fand allerdings nicht überall ungeteilten Beifall. Dass eine Kirche für weltliche Zwecke genutzt wurde, galt vor zwanzig Jahren vielen als großer Frevel (wie vermutlich auch heute noch). Kommentare und Vorwürfe wie: „Was fällt Ihnen ein, eine alte Soester Kirche zu besudeln….“, waren in der Anfangszeit nicht selten. Allmählich aber machten Konzerte, Lesungen, Theaterstücke und Ausstellungen das alte Gemäuer zum Geheimtipp. „Ich habe diese Widerstände alle ausgehalten und hier sogar zwei meiner Enkelkinder taufen lassen“, schmunzelt Risken.
Zur breiten Akzeptanz hat vielleicht auch eine Äußerung von Margot Käßmann beigetragen. Die ehemalige Bischöfin hat einmal in einem Fernsehbericht über die Brunsteinkapelle in Soest von einer annehmbaren, sinnvollen Nachnutzung eines „800 Jahre lang durchbeteten Raumes“ gesprochen. „Dem ist nichts hinzuzufügen“, sieht Risken sich und sein Wirken bestätigt.
Von Anfang an war es ihm dabei wichtig, dass sein Atelier für Besucherinnen und Besucher offen ist. Wenn draußen an der Kirchentür das Schild hängt „Bin da!“, darf jeder eintreten, dem Künstler bei der Arbeit zusehen, mit ihm reden und sich vielleicht seine Werke erklären lassen. „Und im Idealfall tritt dann der Glücksfall ein, den ich KUNST nenne, nämlich das, was sich zwischen dem Stück Papier, der Leinwand, mit ein wenig Farbe, oder einer Skulptur und Ihren Augen abspielt, und das können bei gleichen Werken bei verschiedenen Menschen durchaus unterschiedliche Wahrnehmungen sein“, beschreibt er seinen künstlerischen Ansatz.
Viel zur Popularität und zur öffentlichen Wahrnehmung des Gemäuers trägt jedes Jahr auch die Krippenschau bei. An allen vier Adventsonntagen öffnet Fritz Risken die Kirchentür und zeigt seine beachtliche Sammlung. Über 170 Krippen haben er und Ehefrau Waltraud inzwischen in aller Welt gesammelt und stellen sie in der Kapelle aus. „Das ist eine der größten privaten Sammlungen in der Region“, weiß Risken.
„In 25 Jahren mal ans Aufhören denken“
In der übrigen Zeit des Jahres arbeitet Risken in der Kapelle, stellt seine über 3000 Werke (Malerei, Radierungen, Grafiken, Skulpturen) aus, organisiert Konzerte und Lesungen oder freut sich ganz einfach nur „königlich“, dass er hier sein darf: „Ich bin total glücklich hier. Ich hätte mir in den Hintern gebissen, wenn ich das vor 20 Jahren nicht gemacht hätte.“
Und das soll auch noch einige Zeit so bleiben, denn dass er irgendwann einmal die Lust an seiner Kunst und an dem Schaffen in der Brunsteinkapelle verlieren wird, kann sich Fritz Risken beim besten Willen nicht vorstellen: „Ich werde ja im Sommer erst 75 Jahre alt, also kann ich mir gut vorstellen, dass ich erst in 25 Jahren so langsam mal ans Aufhören denke.“