Schon im Alten Testament wird berichtet, wie Jakob, einer der Erzväter Israels, aus Trauer über den vermeintlichen Tod seines Lieblingssohns Josef seine Kleider zerreißt. Noch heute ist es in jüdischen Familien Brauch, nach dem Totengebet, dem Kaddisch, die Kleidung einzureißen, wenn ein naher Angehöriger stirbt. „Sieben Tage lang behält man dieses Kleidungsstück an“, berichtet Sara Soussan, Kuratorin der Sonderausstellung „Im Angesicht des Todes“ im Jüdischen Museum Frankfurt. Erstmals erklärt eine umfangreiche Schau ab 1. November die Facetten der jüdischen Trauerkultur, informiert über Vorstellungen von Tod und Jenseits und zeigt, wie jüdische Künstler aus aller Welt mit dem Thema umgehen.
Wer das Jüdische Museum am Rand des Frankfurter Finanzviertels bereits besucht hat, wird das wechselnden Ausstellungen vorbehaltene Untergeschoss nicht wiedererkennen: Eigens für die Sonderschau wurde eine labyrinthartige Raumkonstruktion geschaffen, die mit dunklen, lehmfarbenen Wänden und hell erleuchteten Lichtschächten eine dem Thema angemessene Atmosphäre schafft.
Präsentiert wird das Thema Tod und Trauer auf ganz unterschiedliche Weise: Da sind beispielsweise alte jüdische Buchillustrationen mit Darstellungen des Todesengels, der den Ägyptern vor dem Auszug des Volkes Israel die letzte biblische Plage brachte – und in jeder Familie den ältesten Sohn tötete. Zu sehen ist das letzte Gemälde des jüdischen Malers Felix Nussbaum vor dessen Deportation nach Auschwitz „Triumph des Todes“, auf dem halbtote Gerippe inmitten einer zerstörten Landschaft zum Tanz aufspielen.
Tod und Trauer seien ein „Kernthema der jüdischen Tradition“, sagt Museumsdirektorin Mirjam Wenzel. Viele bis heute verbreitete Bräuche hätten sich im Laufe mehrerer Tausend Jahre herausgebildet. Von überraschender Schlichtheit sind beispielsweise die weißen Leinenkleider, die Toten vor der Beerdigung angezogen werden. Auch Särge für eine jüdische Bestattung sind denkbar schlicht gezimmert. „Dem liegt die Idee zugrunde, dass alle Menschen im Tod gleich sind“, sagt Soussan.
Eigens für die Ausstellung hatte das Jüdische Museum die Fotokünstlerin Laura Padgett beauftragt, mit großformatigen Fotos die Stimmung der Trauerhalle des neuen Jüdischen Friedhofs in Frankfurt einzufangen. Hier findet bis heute vor einer Beerdigung die rituelle Waschung der Toten statt. Die Verstorbenen würden dabei symbolisch mit Wasser übergossen, berichtet die Kuratorin. Es handele sich um eine spirituelle Reinigung, nicht darum, die Verstorbenen sauber zu waschen. Wie auch bei Muslimen soll eine Beerdigung möglichst innerhalb von 24 Stunden nach dem Tod stattfinden.
Auch die Erinnerung an die Toten findet großen Platz in der Ausstellung. Sara Soussan hatte auf den jüdischen Friedhöfen von Frankfurt Interviews mit Besuchern aus aller Welt geführt und sie zu ihren Motiven ausgefragt. Teile dieser Gespräche sind als Video zu sehen. Während zu den jüngeren Gräbern vor allem Angehörige kamen, sind die Gräber bekannter jüdischer Gelehrter bis heute Ziel zahlreicher frommer Pilger.