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Wissenschaftler: Menschen haben unterschiedliche Betriebssysteme

Menschen sind unterschiedlich – das betrifft auch die Nervensysteme. Manche Menschen fühlen sich in allen Lebensbereichen fremd, da sie das Gefühl haben anders zu “ticken”.

Mehr Toleranz für das unterschiedliche “Ticken” von Menschen: Dafür wirbt der Sozialwissenschaftler Marek Grummt. “Wir haben unterschiedliche Betriebssysteme, und das ist vollkommen in Ordnung”, sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). So seien manche Menschen langsamer als andere, manche täten sich schwer mit emotionalen Reaktionen oder müssten Erfahrungen erst einmal sacken lassen.

Es sei wichtig, “verschiedene Facetten der Menschlichkeit” anzuerkennen, betonte der Herausgeber des Buchs “Neurodiversität und Autismus”. Mit Neurodiversität sei gemeint, dass Menschen sich in allen Lebensbereichen fremd fühlten, weil man das Gefühl habe, anders zu ticken. Gelegentlich erlebe dies jede und jeder: “Sich als Vegetarier etwas verloren zu fühlen, wenn alle anderen auf der Grillparty nur Fleisch essen, ist noch keine Neurodivergenz-Erfahrung.” Vielmehr gehe es um den dauerhaften Eindruck, nirgends dazuzugehören und etwa den Erwartungen der Familie, in der Schule oder im Job nie gerecht zu werden.

Solche Gefühle könnten sehr belastend sein, erklärte Grummt. “Wenn ich mich den ganzen Tag anpassen muss, um irgendwie klarzukommen, vielleicht schon im Supermarkt oder morgens beim Aufstehen, dann kostet das viel Energie.” Hilfreich sein könnten beispielsweise flexible Lösungen in der Arbeitswelt: “Nicht zu jedem passt der Arbeitsrhythmus, fünf Stunden durchzuziehen und nach einer kurzen Mittagspause weitere drei Stunden vor der Brust zu haben.”

Das Konzept der Neurodiversität – also einer Vielfalt des Nervensystems – entstand Anfang der 1990er Jahre; damals ging es um eine neue Bewertung von Autismus oder auch Behinderungen. Inzwischen beziehen einige Fachleute die Idee auch beispielsweise auf ADHS oder sogenannte Dyspraxien, also etwa motorische Schwierigkeiten. Weiterhin gebe es in der Gesellschaft ein bestimmtes Verständnis von Normalität und eine Bevorzugung derjenigen, die diesem Verständnis zu entsprechen scheinen, so Grummt: “Und diejenigen, die sich am Rand bewegen, haben Schwierigkeiten.”