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Wissenschaftler: Lauterbachs Pflegepolitik Bankrotterklärung

Die Kassen der Pflegeversicherung sind leer. Doch eine grundlegende Finanzreform kommt wohl nicht mehr – weil die Ampel uneinig ist. Ein Wissenschaftler empfindet das als Bankrotterklärung.

Heftige Kritik an der Pflegepolitik von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) übt der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang. Der Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen sei nicht “explosionsartig” und nicht im Geringsten überraschend, sagte er am Donnerstag in einem “Spiegel”-Interview. “Ich war eher überrascht, dass Herr Lauterbach derart laut Alarm schlägt.”

Lauterbach hatte vergangene Woche mitgeteilt, dass es im Jahr 2023 rund 350.000 mehr Empfänger von Leistungen der Pflegeversicherung gegeben habe als 2022. Eigentlich seien aus demografischen Gründen nur 50.000 zusätzliche Empfänger zu erwarten gewesen.

Aus Sicht von Pflegeforscher Rothgang ist der Anstieg durch Folgen der Corona-Pandemie sowie durch Nachholeffekte der Reform der Pflegeversicherung von 2017 bedingt. Seitdem berechtigen auch psychische Beschwerden und Demenzerkrankungen zum Empfang von Versicherungsleistungen.

Rothgang verweist auf Milliardenlücken im Etat der Pflegeversicherung. “In diesem Jahr wird es schon eng, im nächsten dürfte das Minus groß werden”, sagte er. Zu erwarten sei also eine Beitragserhöhung um ein bis zwei Zehntelprozentpunkte. Die Ampel habe das für diese Legislaturperiode ausgeschlossen. Lauterbach brauche also eine “dramatische Begründung”, um eine Erhöhung zu rechtfertigen.

In einem Interview hatte Lauterbach zudem erklärt, dass es bis zur Bundestagswahl zu keiner Finanzreform der Pflegeversicherung mehr kommen werde, weil die Koalition sich nicht einig sei. Rothgang bezeichnete das als “Bankrotterklärung. So kann man als Minister nicht agieren”.

Als einen Weg, die Finanzprobleme der Versicherung schnell zu verringern, bezeichnete Rothgang die Übernahme versicherungsfremder Leistungen wie der Rentenbeiträge für pflegende Angehörige und die Begleichung von Pandemiekosten durch den Steuerzahler. “Aus der Pandemie sitzt die Pflegeversicherung noch auf Schulden von fünf bis sechs Milliarden Euro, die mit den eigentlichen Aufgaben der Pflegeversicherung wenig zu tun haben, auch das könnte man bereinigen”, sagte er. “Oder man könnte wenigstens statt der Beitragssätze nur die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen. Auf diese Weise belastet man nur Beitragszahler, die es sich leisten können.”