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Wissenschaftler: “Kriminalstatistik wird völlig überschätzt”

Nach der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) sorgt diese weiter für Diskussionen. Laut PKS stieg die Zahl der Straftaten 2023 auf fast sechs Millionen – ein Plus von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für Kriminalwissenschaftler André Schulz kein Grund zur Sorge: „Die Kriminalstatistik wird in ihrer Aussagekraft regelmäßig völlig überschätzt“, sagte der Professor der Northern Business School (NBS) in Hamburg. Er ärgere sich über Rechtspopulismus und unseriöse Medien, die Jahr für Jahr versuchen, die PKS zu ihren Gunsten auszuschlachten.

Dabei zeige die Statistik weder, ob jemand tatsächlich schuldhaft eine Tat begangen hat, noch ob das Verfahren später eingestellt wurde oder die Person nachweislich unschuldig war. Schulz: „Es ist ein Arbeitsnachweis der Polizei, eine Strichliste, die nichts über die Qualität der Kriminalität aussagt.“ Die Zahlen müssten immer im Kontext bewertet und von Expertinnen und Experten interpretiert werden. „Auch wenn man den Eindruck hat, dass bei einigen die Zündschnur deutlich kürzer geworden ist, gibt es für eine Verrohung der Gesellschaft oder eine Zunahme der Brutalität keine empirischen Nachweise“, sagte der 53-jährige Professor.

Die Zunahme der Taten könne auch aus einer gestiegenen gesellschaftliche Sensibilisierung resultieren. Das bedeute, dass vielleicht nur das Hellfeld der polizeilich registrierten Taten größer und das Dunkelfeld kleiner geworden sei. Schulz: „Die Zunahme bei den registrierten Gewaltdelikten erfolgte vor allem im öffentlichen Raum, und zwar in einem erheblichen Maße in ökonomisch schwächeren Regionen.“ Wirtschaftliche und soziale Belastungen würden sich auch in der Kriminalität manifestieren.

Laut PKS ist 2023 die Zahl der nicht-deutschen Tatverdächtigen um 17,8 Prozent gestiegen. Würden Straftaten wie die unerlaubte Einreise oder Verstöße gegen das Asylgesetz herausgerechnet, beträgt die Zunahme 13,5 Prozent, rechnet Schulz vor und weist auf Verzerrungsfaktoren hin. „Es ist empirisch belegt, dass Menschen, die ‘ausländisch’ aussehen, öfter angezeigt werden als Menschen, die eher ‘deutsch’ aussehen“, sagte Schulz.

Den Hauptgrund für den Anstieg sieht der Experte in der hohen Zahl von Zuwanderern, überwiegend durch die Kriege in Syrien und der Ukraine. Werde die Zahl der ausländischen Tatverdächtigen ins Verhältnis zur deutlich gestiegenen Anzahl nicht-deutscher Personen in der Gesamtbevölkerung gesetzt, falle der Anstieg bei ausländischen Tatverdächtigen ähnlich oder gar geringer aus als bei deutschen Tatverdächtigen.

„Grundsätzlich hat Herkunft, Ethnie oder Religion nichts damit zu tun, ob ein Mensch kriminell wird oder nicht“, sagte Schulz. Insgesamt sei die getrennte Erfassung von deutschen und nicht-deutschen Tatverdächtigen „sinnlos und unheilvoll“. Schulz: „Sie bedient nur Rassismus und Ausländerfeindlichkeit.“