Rückkehr einer besonderen Gottesmutter: Die Reliquienbüste aus dem Spätmittelalter gehörte zur bedeutenden Sammlung des jüdischen Berliner Bankiers Benoit Oppenheim. Was Werk und einstigen Besitzer besonders machen.
Verinnerlicht, mit halb geschlossenen Augen blickt die Madonna auf die Besucher des Berliner Bode-Museums, während sie dem Christuskind die Brust reicht. Ihre Hand ruht auf einer Kugel mit einem rechteckigen, rot ausgemalten Fach, das einst eine Reliquie enthielt. Erst kürzlich gelang es dem Kaiser Friedrich Museumsverein die Büste der sogenannten Maria lactans – der stillenden Madonna – zurückzukaufen.
Erst 2023 hatten die Skulpturensammlung und das Museum für Byzantinische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz die Skulptur an die Erben des jüdischen Bankiers Jakob Goldschmidt restituiert. Jetzt freut sich Kurator Tobias Kunz über die Rückkehr der Büste, denn: “Die Statue gehört zu den raffiniertesten oberschwäbischen Bildwerken des ausgehenden Mittelalters.” Die Rückkehr die Büste aus dem frühen 16. Jahrhundert begeht das Museum nun mit einer Kabinettsausstellung: “Zurück in Berlin. Eine Marienbüste und die Sammlung Benoit Oppenheim”, zu sehen ab diesem Freitag.
Dort ist die stillende Gottesmutter umgeben von vierzehn weiteren hauseigenen Werken, die sich ursprünglich in der Sammlung Oppenheim befanden. “Man kann Benoit Oppenheim guten Gewissens als wichtigsten Skulpturensammler in Deutschland bezeichnen”, betont Matthias Weniger, Kurator für mittelalterliche Skulptur im Bayerischen Nationalmuseum München. Ebenso wie der heute wesentlich bekanntere Sammler James Simon sammelte Oppenheim zwischen 1900 und 1910, also in den Jahren, in denen die Wertschätzung für solche Werke am höchsten war und die Preise ganz neue Höhen erreichten.
“Wozu er wesentlich beigetragen hat”, räumt Weniger ein. Der 1931 verstorbene jüdische Bankier habe eine Sammlung mittelalterlicher Skulpturen von atemberaubender Dichte und Qualität zusammengetragen. Er stellte sie in seiner Villa im Berliner Tiergartenviertel auf – selbst das Billardzimmer schmückten Madonnen – und veröffentlichte zwei opulente Kataloge.
Außergewöhnlich war, dass der Bankier, den Weniger als “singulären Sammler, singulären Entsammler” bezeichnet, seine Kollektion selbst wieder auflöste: “Mit derselben Energie, mit der er seine Stücke zusammengetragen hatte, machte er sich ab 1920 an den Verkauf der Bestände.” Zu immensen Preisen.
Sehr zum Leidwesen von Wilhelm von Bode, dem Direktor der Königlichen Museen zu Berlin, den heutigen Staatlichen Museen zu Berlin, der auf eine Schenkung gehofft hatte. Diese blieb allerdings aus, sieht man von einem Mörser aus Oberitalien aus dem 16. Jahrhundert ab. Und zu dem fehlte auch noch der Stößel. Eine Gabe nicht ganz frei von Ironie, angesichts der hochkarätigen Skulpturen in Offenheims Sammlung.
Dennoch illustriert die Kabinettsausstellung die Expertise des Sammlers und seinen Blick für das, was Weniger als “so etwas wie einen Berliner Geschmack” bezeichnet, den auch James Simon teilte: “Werke, die eher das Harmonische, Liebliche, den verinnerlichten Ausdruck suchten – nicht die Dramatik der Martyrien, die so viele Arbeiten der Zeit kennzeichnet.”
So lässt die Madonna seit Jahrhunderten das Weltgeschehen an sich vorüberziehen. Ein wenig rätselhaft im Ausdruck und meisterlich in der Ausführung. “Das Können des Künstlers zeigt sich an Details wie der verrutschen Kette an Marias Kronreif, den virtuosen Haarsträhnen oder der differenzierten Gestaltung der Finger ihrer rechten Hand”, würdigt Kunz die Schönheit der einst polychromen und vermutlich vergoldeten Büste.
“Das Kind ist auf einem Kissen gebettet – ein geläufiges Motiv, um seine Gleichsetzung mit der Hostie anzudeuten”, vermutet Kunz. Dies wäre dann ein Verweis auf die Erlösung der Gläubigen durch die Opferung des Sohnes.
Welche Reliquie die Büste einst hütete, lässt sich nur vermuten. Im Mittelalter hatten zahlreiche Pilger pulverisiertes Gestein aus der sogenannten Milchgrotte in Bethlehem mitgebracht. Kunz zufolge spricht viel dafür, dass es sich bei der Figur um eine Marienmilchreliquie handelt. Ihre motivische Verbindung der ungewöhnlichen Kugel mit dem an der Mutterbrust trinkenden Kind könne jedenfalls als einzigartig angesehen werden.