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Wie Pfarrer Joseph Yoo aus Texas zum Social-Media-Star wurde

Joseph Yoo ist Gemeindepfarrer in den USA – und ein Star in den sozialen Medien. Hunderttausende folgen dem Texaner. Ein Interview über unverhofften Ruhm und geistliche Inhalte im Netz.

Dem Gemeindepfarrer Joseph Yoo aus Texas folgend hunderttausende Menschen in den sozialen Medien
Dem Gemeindepfarrer Joseph Yoo aus Texas folgend hunderttausende Menschen in den sozialen MedienPrivat

In Pearland, einer Stadt mit 125.000 Menschen bei Houston, arbeitet Joseph Yoo als Gemeindepfarrer. Zugleich ist er eine profilierte geistliche Stimme in den sozialen Medien, mit hunderttausenden Followerinnen und Followern aus aller Welt – darunter auch Prominente wie die Schauspielerin Whoopi Goldberg. Er erzählt geistliche Geschichten auf TikTok und Instagram, leitet eine junge Gemeinde und setzt sich klar für LGBTQ-Personen und andere marginalisierte Gruppen ein.

Sie sind Gemeindepfarrer – und zugleich sehr aktiv in sozialen Medien, zum Beispiel auf TikTok, Instagram und Facebook. Wie kam es dazu?
Joseph Yoo: Ich habe 2020 während des Lockdowns mit TikTok begonnen, einfach aus Neugier, weil alle Jüngeren von dieser App sprachen. Nach kurzer Zeit habe ich dort einen Pfarrer entdeckt und dadurch gemerkt, dass man ja auch theologische Inhalte teilen kann. Dann habe ich aus Spaß mit eigenen Videos experimentiert – und einige davon bekamen eine sehr hohe Reichweite, aus Gründen, die nur der Algorithmus und Gott kennen. Ich habe also weitergemacht. Für mich bleibt Social Media allerdings ein Hobby: Mein eigentlicher Beruf und meine erste Berufung ist meine Gemeinde.

Ist die Internet-Arbeit Teil Ihrer Stelle?
Nein, ich bin nie offiziell beauftragt worden, ich bin da einfach hineingerutscht. Aber ich nutze das bewusst: Es gibt Themen, die in einer Predigt aus Zeitgründen keinen Platz haben oder zu kontrovers für die Kanzel sind – die greife ich in den sozialen Medien auf. Dort ist Dialog möglich, anders als im Gottesdienst. Menschen kommentieren meine Beiträge oder schreiben mir. So sind diese Kanäle für mich ein kreatives Ventil und ein Ort, auch schwierige Themen zu erzählen und zu diskutieren.

 

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Welche Inhalte bieten Sie im Internet?
Mich interessieren Geschichten. Ich möchte zeigen, wie in den gewöhnlichen Geschichten meines Lebens etwas von Gottes Gegenwart aufleuchtet – ohne dass sich jedes Video wie eine Mini-Predigt anhört. Oft beginne ich einfach mit einer Alltagsgeschichte und vertraue darauf, dass Menschen darin emotional und geistlich andocken können, weil Gott überall gegenwärtig ist.

Joseph Yoo: Social Media bleibt Hobby

Manche der Geschichten, die ich erzähle, stammen aus meiner koreanischen Kindheit, aus Volksmärchen, die mir meine Eltern erzählt haben. Als Kind waren sie oft mit Ermahnungen verknüpft, heute entdecke ich sie neu und versuche, die dahinterliegenden Lebenslektionen in einer anderen, hoffnungsvolleren Weise weiterzugeben.

Dahinter steht bei Ihnen auch ein bestimmtes Gottesbild.
Ja, ich bin in einem sehr traditionellen evangelikalen Umfeld aufgewachsen, in dem kirchliche Musik „heilig“ und weltliche Kultur eher verdächtig war – als könnte Gott nur hier, aber nicht auch dort zu finden sein. Später habe ich entdeckt: Weltliches und Geistliches lassen sich nicht sauber trennen, denn wie der Psalmist schon fragt: „Wohin könnte ich gehen, um deiner Gegenwart zu entfliehen?“ – Gott ist in allem und jedem zu finden. Deshalb vertraue ich darauf, dass selbst eine scheinbar „weltliche“ Geschichte Gott Raum geben kann, Menschen anzurühren.

Hunderttausende Menschen folgen Ihren Accounts. Wie fühlt es sich für Sie an, so viele Follower zu erreichen?
Für einen Pastor fühlt sich das manchmal zu groß an, und ich kann auch nicht wirklich erklären, wie es dazu kam. Es ist und bleibt aber ein Hobby. Ich verdiene damit derzeit kein Geld und plane damit auch keine zweite Karriere.

Wie reagiert Ihre Gemeinde vor Ort auf Ihren Online-Auftritt?
Viele wussten erstaunlich lange gar nicht, wie präsent ich online bin, bis sonntags neue Leute kamen und sagten: „Wir sind wegen seiner Videos hier.“ Wer mich gut kennt, erkennt mich in den Videos wieder – ich spiele keine Rolle, sondern bin möglichst dieselbe Person auf der Kanzel, im Netz und im Café.

Kommen tatsächlich Menschen durch Social Media in Ihre Kirche?
Seit Beginn dieses Jahres haben wir jeden Sonntag mindestens einen neuen Gast, und in mehr als der Hälfte der Fälle liegt das daran, dass sie mich auf Instagram oder Facebook gesehen haben. Manche fahren sogar eine Stunde aus der weiteren Umgebung an, um einmal mit uns Gottesdienst zu feiern. Die Herausforderung ist eher, aus einmaligen Besuchen tragfähige Beziehungen werden zu lassen.

Sie haben Familie, eine junge Gemeinde, mehrere Social-Media-Kanäle und schreiben Bücher. Wie organisieren Sie das alles?
Unsere Gemeinde hat kein Büro, ich arbeite bewusst aus Cafés heraus und halte meinen sozialen Kreis klein, weil ich eher introvertiert bin. Meine Prioritäten sind klar: zuerst Familie, dann Gemeinde, alles andere danach – und ein gewisser heilsamer Hang zur Faulheit schützt davor, sich zu überarbeiten.

Welchen Rat hätten Sie für Christinnen und Christen, die in sozialen Medien über ihren Glauben sprechen möchten?
Zuerst: Sei authentisch – Gott hat dich geschaffen, damit du du selbst bist und nicht irgendwen kopierst. Und zweitens: Tu es einfach und schau, was passiert. Niemand weiß, wen ein kurzer Beitrag im richtigen Moment erreicht; vielleicht scrollt jemand gedankenlos durch sein Handy und stößt auf deine Worte – und Gott nutzt genau diese 30 Sekunden, um Hoffnung zu säen.

Was Joseph Yoo inspiriert

Die Angst, sich lächerlich zu machen, ist letztlich die einzige Gefahr – im Verhältnis zu der einen Person, die vielleicht aufatmen kann, ist das ein kleiner Preis.

Sie lassen auch theologische Literatur in ihre Videos einfließen. Was inspiriert Sie besonders?
Ein Professor sagte im Seminar einmal zu uns: Ein Pastor arbeitet nicht körperlich, also ist seine Aufgabe das Studieren. Und so schwer mir alte theologische Klassiker manchmal fallen, lese ich gern moderne geistliche Autoren wie Thomas Merton, Richard Rohr oder den Jesuiten Gregory Boyle.

Was lernen Sie daraus für Ihre pastorale Praxis?
Gregory Boyle zum Beispiel beschreibt in seinen Büchern, wie er mit ehemaligen Gangmitgliedern lebt und arbeitet – Menschen, die als Kriminelle abgestempelt werden, denen er aber Würde und Seele zuspricht. Jedes Mal denke ich: Genau so sollte Kirche sein – tief in einer Nachbarschaft verwurzelt und Veränderung von innen her fördernd. Von solchen Stimmen lasse ich meine Sprache und mein Denken prägen.

Sie sind Kind koreanischer Einwanderer in die USA. Welche Rolle spielt Ihre Herkunft in Ihrer Arbeit und Ihrem Glauben?
Viele Kinder von Migrantinnen und Migranten hier kennen dieses Dazwischen: nicht amerikanisch genug für die Amerikaner, aber zu amerikanisch für die Koreaner. In meiner überwiegend weißen Schule war ich sichtbar anders, gehörte aber auch nicht selbstverständlich in rein koreanische Settings. Dieses Gefühl, nirgends ganz dazuzugehören, begleitet mich und macht sensibel für Menschen, die sich in Kirche als Außenseiter erleben.

 

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Wie wirkt sich Ihr spezielles Umfeld in Pearland bei Houston auf die Arbeit Ihrer Gemeinde aus?
In unserer Stadt mit etwa 100.000 Einwohnern gibt es rund 50 Kirchen, aber nur zwei, die sich ausdrücklich zur LGBTQ-Community bekennen: unsere Gemeinde und eine „Schwesterkirche“. Weil wir die Gemeinde erst vor fünf Jahren neu gegründet haben, konnten wir die DNA von Anfang an klar definieren – inklusive, offen und als Zufluchtsort für Menschen, die sich anderswo nicht willkommen fühlen.

Wie wird diese Haltung der Inklusivität in Ihrer Gemeinde sichtbar?
Unser Gebäude war früher eine Bäckerei, heute hängt im großen Schaufenster eine Regenbogenfahne – ein Signal: Hier ist ein sicherer Ort, wir unterstützen keine Politik, die Menschen ausgrenzt. Der Vorteil: Ich muss sonntags nicht auf Eierschalen laufen, sondern kann klar sagen, dass Christinnen und Christen an der Seite der Armen, Ausgegrenzten und Entmenschlichten stehen sollen.

Aus deutscher Perspektive wirkt die politische Lage in den USA – und besonders in Texas – beunruhigend. Wie erleben Sie das in Ihrer Gemeinde?
Viele Menschen in unserer Umgebung sind nervös, insbesondere LGBTQ-Paare und nicht-weiße Gemeindeglieder. Ein schwules Paar, eines aus Deutschland, verlässt gerade Texas – aus Angst vor möglichen Einschränkungen gleichgeschlechtlicher Ehen; andere tragen ständig Einbürgerungspapiere bei sich, obwohl sie längst US-Bürger sind.

Wie schützen Sie sich seelisch vor der politischen Anspannung?
An einem Punkt habe ich beschlossen, zum Schutz meiner psychischen und geistlichen Gesundheit nicht mehr ständig Nachrichten zu konsumieren. Stattdessen frage ich: Wie kann ich heute einem Menschen helfen, ein wenig leichter zu atmen, also Würde zusprechen, wenn andere entmenschlichen? Wir definieren Segen in unserer Gemeinde als etwas, das einem anderen Menschen für einen Moment das Atmen erleichtert. So möchte ich Widerstand leben, ohne Hass zu predigen.