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Wie evangelikale Missionare Völker im Amazonas erreichen wollen

Druck von allen Seiten: Das ist der Alltag vieler indigener Völker in Brasiliens Amazonasregion. Sie werden mit Bibelversen von Evangelikalen beschallt, von Bauern verjagt und haben Angst, ihr Land zu verlieren.

Bibelverse in Dauerschleife: Es sind kleine Apparate, so groß wie ein Handy, aus denen diese erklingen. Strom für die ununterbrochene Predigt liefert ein kleines Solarpanel. Mindestens sieben dieser Geräte sollen in den Dörfern des indigenen Korubo-Volkes im Schutzgebiet Vale do Javari im Westen Brasiliens aufgehängt worden sein, berichtete jüngst die Zeitung “O Globo”. Die Geräte stammen wohl von evangelikalen Missionaren aus den USA. Wie sie in die Schutzzone gelangten, ist noch unklar.

Das Reservat Vale do Javari in Zentralamazonien, nahe der Grenze zu Peru, hat die weltweit höchste Dichte isoliert lebender Indigenenvölker. Um diese vor Krankheiten zu schützen, ist der Zutritt untersagt. Doch der Schutz des riesigen Gebietes fällt der staatlichen Indigenenbehörde Funai schwer. Während der Regierung des Rechtspopulisten Jair Messias Bolsonaro von 2019 bis 2022 waren Sicherheitskräfte kurzzeitig sogar abgezogen worden.

Die Predigt-Geräte scheinen von der amerikanischen Missionarsbewegung In Touch Ministries zu stammen. Diese erklärte, vor vier Jahren 48 dieser Geräte an das indigene Volk der Wai Wai im nördlichen Amazonasgebiet verteilt zu haben. Auf den Geräten seien Bibelpassagen auf Portugiesisch und der Wai Wai-Sprache abgespeichert gewesen. Wie die Apparate weiter südlich in das Schutzgebiet Vale do Javari kämen, wisse man nicht. Man agiere nur dort, wo es erlaubt sei.

Für den Schutz des Reservats Vale do Javari zuständige Beamte vermuten, dass Vertreter der Zeugen Jehovas in der Region aktiv sind. Zudem berichten sie über regelmäßige Drohnensichtungen über dem Schutzgebiet. Neben Missionaren könnten auch Drogenbanden hinter diesen Aktivitäten stecken. Die Amazonasregion wird zunehmend für den Schmuggel von Drogen genutzt.

Auch Aktivitäten von Missionaren sind hier nicht neu. Im Jahr 2020 waren Missionare der aus Florida stammenden evangelikalen New Tribes Mission (NTM) mehrmals bei illegalen Aktivitäten in dem Gebiet aufgegriffen worden. NTM, die in Deutschland unter dem Namen Ethnos360 aktiv ist, sieht ihre Aufgabe in der Missionierung von Völkern, für die es bislang keine Bibelübersetzung gibt, vor allem isoliert lebende Indigene.

In der Vergangenheit geriet NTM mehrfach in die Kritik: Durch ihre Arbeit wurden in den 1970er und 1980er Jahren Krankheiten unter Indigenen in Paraguay sowie in den 1990er Jahren unter Indigenen in Brasilien verbreitet. Solchen Gruppen ist die Arbeit in Brasiliens indigenen Reservaten ausdrücklich untersagt. Laut einem Gesetz von 1987 darf der Kontakt zu den Indigenen nur dann aufgenommen werden, wenn dies von den Indigenen selbst ausgeht.

Brasiliens Indigene stünden derzeit besonders unter Druck, erklärte am Montag (Ortszeit) der katholische Indigenenrat Cimi. So stelle ein Ende 2023 vom Kongress verabschiedetes Gesetz den Rechtsanspruch der Indigenen auf ihre Schutzgebiete in Frage. Das Gesetz des “Marco temporal”, auch “Zeitfenster 1988” genannt, will den indigenen Völkern nur Gebiete zusprechen, die sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung 1988 tatsächlich bewohnten.

Brasiliens Verfassung garantiert ihnen jedoch die Rückgabe ihrer angestammten Siedlungsgebiete, also auch denen, von denen sie vor 1988 vertrieben wurden. So war erwartet worden, dass das Oberste Gericht das Gesetz wegen fehlender Verfassungskonformität rasch kippt. Doch bisher ist nichts geschehen. Für Cimi-Generalsekretär Luis Ventura stellt dies “den größten Rückschlag für die Rechte der indigenen Völker seit der Verfassung von 1988” dar.

So werde ein Klima “absoluter Rechtsunsicherheit geschaffen, das nicht nur die Demarkierung der Reservate behindert, sondern letztlich auch Gewalt gegen indigene Völker und ihre Gebiete vertuscht, fördert und ermutigt und garantiert, dass diese Gewalt straffrei bleibt”, erklärte Ventura am Montag (Ortszeit) in der Hauptstadt Brasilia bei der Vorstellung des Cimi-Jahresberichts 2024 zur Gewalt gegen indigene Völker. Laut Cimi warten 857 indigene Gebiete auf ihre rechtliche Anerkennung.

Aufgrund der ungeklärten Rechtslage seien die Indigenen der Gewalt von Landwirten und deren bewaffneten Handlangern ausgesetzt. In einigen Fällen schreite die Polizei nicht ein, in anderen stehe sie gar an der Seite der Eindringlinge, erklärte der Cimi. Man hoffe, dass das Oberste Gericht seine Mission wieder aufnehme, um die verfassungsmäßigen Rechte der Indigenen zu schützen, so Ventura.

Laut Bericht wurden 2024 in bundesweit 211 Indigene ermordet, 2023 gab es 208 Fälle. Die Gliedstaaten mit den meisten Morden liegen in der Amazonasregion: Roraima mit 57 Morden vor Amazonas mit 45. Zudem registrierte Cimi 37 Attacken auf indigene Siedlungen in elf Gliedstaaten, von denen einige mit Schusswaffen durchgeführt wurden.

Cimi prangert auch die unzureichende medizinische Versorgung in den Indigenengebieten an. So starben im vergangenen Jahr 922 Kinder im Alter von vier Jahren und jünger. Rund die Hälfte dieser Fälle sei durch eine adäquate Behandlung vermeidbar gewesen.