„Wir brauchen mehr Sichtbarkeit und wir brauchen sie jetzt“, sagt Jil Becker. Die Pastorin für Nachwuchsförderung in der Nordkirche fordert deswegen von ihren Kolleginnen und Kollegen, den eigenen Beruf stärker zu bewerben, vor allem unter jungen Menschen, die über ein Theologiestudium nachdenken. In den nächsten Jahren werden in der Nordkirche viele Pfarrstellen frei, doch die Zahl der Erstsemester in der Theologie ist rückläufig. Zwar gebe es immer noch motivierte Bewerberinnen und Bewerber, „aber wir haben einfach zu wenig und das liegt nicht nur an den Rahmenbedingungen, sondern auch daran, dass viele gar nicht wissen, wie spannend dieser Beruf eigentlich ist“, erklärt Becker.
Deshalb richtet sie einen Appell an die Pastorinnen und Pastoren im Dienst: „Erzählt von eurem Beruf! Erzählt, was euch begeistert. Erzählt, was euch herausfordert. Denn das ist es, was junge Menschen interessiert: echte Einblicke.“
Theologie studieren – ein Fach für Menschen, die Fragen stellen
Die Grundlage für das Pfarramt ist das Studium der Evangelischen Theologie. Ein Fach, das häufig unterschätzt werde, sagt Becker. „Es ist ein Studium, das intellektuell herausfordert, das historisches Wissen mit Gegenwartsfragen verbindet und einen persönlich prägt.“ Studierende beschäftigen sich mit biblischen Texten in den Ursprungssprachen Hebräisch und Griechisch, lernen Kirchengeschichte und Ethik, reflektieren Glaubensfragen und gesellschaftliche Entwicklungen.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Wer die Erste Theologische Prüfung ablegt, hat in der Regel zehn Semester hinter sich. Danach folgt das zweijährige Vikariat – also die praktische Ausbildung in einer Gemeinde, begleitet durch Unterricht am Predigerseminar. „Viele denken, Theologie sei nur was für besonders Fromme oder Abgehobene“, sagt Becker. „Aber das stimmt nicht. Es ist ein Fach für Menschen, die Fragen stellen und mit anderen Menschen unterwegs sein wollen.“
Authentische Botschafter des Berufsalltags sein
Doch wie erreichen wir junge Menschen? Becker setzt auf neue Wege: Social Media, Präsenz an Schulen, Gespräche auf Ausbildungsmessen. Vor allem aber auf die Pastorinnen und Pastoren selbst. „Wir dürfen nicht erwarten, dass sich junge Leute von allein melden. Die Kirche muss aktiv sein. Und wer eignet sich besser als Botschafter als jemand, der den Beruf lebt?“
Becker weiß, dass es auch kritische Fragen gibt: zu Arbeitsbelastung, zu strukturellen Veränderungen in der Kirche, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie rät, das nicht auszublenden: „Wir müssen ehrlich sein. Es gibt Herausforderungen. Aber es gibt auch Gestaltungsspielräume. Und die Nordkirche arbeitet aktiv daran, gute Rahmenbedingungen zu schaffen.“
Pastorin Jil Becker: Gute Religionsunterricht ist wichtig
Becker ist überzeugt: Wer den Beruf authentisch lebt, kann andere dafür begeistern. „Wir brauchen Pastor*innen, die sich zeigen. Nicht als Superhelden, sondern als Menschen mit Herz, Verstand und Haltung. Nur so springt der Funke über.“ Guter Religionsunterricht werde ihr gegenüber immer wieder als Grund für die Studienwahl genannt. Ein weiteres Beispiel sei der Lübecker Dom, der seinen Konfis die Möglichkeiten für Praktika oder Ausbildungen und das Studium aufzeigt. „Von dort habe ich fast immer Erstis an der Uni.“
Auch Jil Becker selbst sei nach der Konfizeit hängen geblieben. Es folgte die Jugendleiterschulung und dann gab es einen Raum für die Jugendlichen in der Gemeinde, den sie gestalten und mit Leben füllen durften. „Ich durfte da alles machen, mal eine Lesung halten oder ein Gedicht schreiben.“ Auf dem Weg weiter bestärkt habe sie dann der Religionsunterricht. „Da habe ich die ersten Dorothee Sölle Texte gelesen. Die Lehrerin hat irgendwann gesagt: ‚So einen Text würde man an der Uni lesen.‘ Das fand ich cool.“ Beruf oder Berufung – Jil Becker drückt es anders aus: „Ich habe da was gespürt, da hat mich was gezogen. Das war mit Sicherheit die Person, das Thema. Aber das war auch ein Geheimnis meines Lebens. Warum bin ich da? Wo gehen wir hin?“
Pfarramt: Junge Menschen wollen etwas Sinnvolles tun
Neben einer Einheit zu kirchlichen Berufen für die Konfizeit, hat Jil Becker die Aktion „1200 x 2“ gestartet. Sie wolle alle 1.200 Pastorinnen und Pastoren mit vollen Pfarrstellen in der Nordkirche anrufen und sie dafür gewinnen, dass sie in einem Jahr zwei Personen nahelegen, einen kirchlichen Beruf zu machen – ob Pfarramt, Diakonat, Gemeindepädagogik, Lehramt oder Kirchenmusik. „Ich erlebe junge Menschen, die sagen: Ich will etwas Sinnvolles tun. Ich will mich einsetzen für Gerechtigkeit, für Gemeinschaft, für Glauben in einer offenen Gesellschaft. Ich sage ihnen: Dann schaut euch dieses Studium an!“
