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Westfälische Kirche will Missbrauchsprävention verbessern

Die Evangelische Kirche von Westfalen will die Prävention sexualisierter Gewalt auf allen Ebenen verbessern. Die Verfahren und Standards müssten dabei ebenso in den Blick genommen werden wie die Kommunikation, sagte der Theologische Vizepräsident Ulf Schlüter am Samstag auf einer eintägigen Landessynode der westfälischen Kirche. Das Treffen diente vor allem zur Vorbereitung der Herbstsynode, die vom 23. bis 26. November in Bielefeld tagt. Im Mittelpunkt der Gespräche stand ein mutmaßlicher Missbrauchsfall im Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein, zu dem am Dienstag ein unabhängiges Gutachten vorgestellt wurde.

Ein Kirchenmusiker soll laut der Studie eines von der westfälischen Kirche beauftragten Unternehmens jahrzehntelang Schüler-Lehrer-Verhältnisse gegenüber jungen Orgelschülern ausgenutzt haben. Sieben Betroffene werfen dem Ruheständler sexuelle Übergriffe vor, die es auch in einem Siegener Kirchenbüro gegeben habe. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wurden vor einem Jahr eingestellt, weil die mutmaßlichen Taten verjährt sind oder die Betroffenen damals nicht mehr minderjährig gewesen seien. Die westfälische Kirche konnte dem Kirchenmusiker als einzige Disziplinarmaßnahme einen Ehrentitel aberkennen, das ist aber noch nichts rechtskräftig.

Die frühere westfälische Präses und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, war im November 2023 nach Kritik an mangelnder Information über ihre Rolle in dem Fall von ihren Ämtern zurückgetreten. Sie war in den 90er Jahren, in denen Betroffene sie bereits über Übergriffe des Kirchenmusikers informiert haben wollen, Pfarrerin in Siegen und mit der Familie des Mannes eng befreundet.

Schlüter sagte, nach der Untersuchung dieses Falls durch die Firma Deloitte werde es auch Konsequenzen für die kirchenmusikalische Ausbildung geben. „In dem Bereich muss sehr genau hingeschaut werden, wie Schutzkonzepte anzupassen sind und wie Sicherheit für Auszubildende geschaffen werden kann“, betonte der Theologe, der die viertgrößte deutsche Landeskirche bis zum Amtsantritt der neuen Präses Adelheid Ruck-Schröder Mitte Juni kommissarisch leitet.

„Wir werden die Vorschläge des Berichts prüfen, etwa im Blick auf mögliche Pflichtverstöße Beteiligter und daraus gegebenenfalls noch abzuleitende Verfahren“, sagte Schlüter. Die Verfahren der Prävention und Intervention sollten verbessert werden. Das Gleiche gelte für die Kommunikationsprozesse, die nicht transparent gewesen seien. Die Mängel und Konflikte im Umgang der Landeskirche mit dem mutmaßlichen Missbrauchsfall müssten offen angesprochen werden, auch wenn sie unangenehm, peinlich und schmerzhaft seien.

In der Debatte plädierten auch Mitglieder des Kirchenparlaments für mehr Transparenz. Eine Siegener Pfarrerin beklagte, Kurschus werde „zu einem Sündenbock gemacht für ein komplexes Versagen verschiedener Personen oder der Kirche“. Dagegen betonte Superintendent Steffen Riesenberg aus dem Kirchenkreis Gladbeck-Bottrop-Dorsten, die geltenden Kirchengesetze, Richtlinien und Schutzkonzepte müssten konsequent angewendet und mutmaßliche Missbrauchsfälle sofort gemeldet werden – im Fall Siegen war dies erst Monate nach dem ersten Hinweis erfolgt. Hier seien auch im Blick auf Kurschus Fragen offen.

Die Leiterin des Evangelischen Studienwerks Villigst, Friederike Faß, mahnte, Missbrauchsbetroffene dürften nicht „mundtot gemacht“ werden, indem man ihnen sage, sie müssten gnädig sein und vergeben. Nach Angaben der Siegener Superintendentin Kerstin Grünert begrüßen die Betroffenen im Siegener Fall die ausführliche und öffentlich gemachte Untersuchung. Dadurch sei „die Wirklichkeit von Betroffenen jetzt allgemeine Wirklichkeit und öffentliche Wirklichkeit“.

Auf der Herbstsynode der Landeskirche soll es neben sexualisierter Gewalt auch um die Zukunft des Pfarrdienstes und um die geplante Konsolidierung des Haushalts bis 2028 gehen. Die Synode wird dann erstmals von der neuen Präses Ruck-Schröder geleitet.